Macabros 094: Todesruf der schwarzen Hexe
daß sie verlassen war. Dies unterstrich, daß
nirgends Lichtschein zu sehen war, und trotz der unbarmherzigen
Kälte – die Macabros jedoch nicht empfand, da sein
Körper nicht aus Fleisch und Blut bestand – kein Rauch aus
dem Kamin stieg.
Aber – da war etwas!
Ein leises Geräusch, das sich innerhalb von Sekunden
verstärkte und furchtbar anhörte.
Ein Klagen und Wimmern drang aus den Wänden und wurde zu
qualvollem, langgezogenem Stöhnen. Es war ein Ruf, der –
hätte Macabros’ Leib nicht aus einer ätherischen
Substanz bestanden –, ihn um den Verstand gebracht
hätte.
Diesen Ruf hatte Ak Nafuur in seiner siebten Botschaft
erwähnt.
Es war der Todesruf der schwarzen Hexe!
Als Macabros ihn vernahm, meinte er, sein Inneres würde sich
nach außen kehren, unsichtbare Hände würden ihn
packen und ihm sämtliche Glieder vom Leib reißen…
*
Sie war geduldig und wartete eine volle Stunde.
Danielle de Barteaulieé wußte, daß Ranis
Mission Fingerspitzengefühl verlangte, daß sie Zeit
erforderte.
Als noch mal eine halbe Stunde vergangen war, ohne daß der
Inder zurückgekommen wäre, wurde sie jedoch langsam
unruhig.
Die Französin verließ daraufhin ihren Platz hinter dem
Kastenwagen und näherte sich dem Hotel.
Sie betrat nicht die Empfangshalle, um nicht auf sich aufmerksam
zu machen. Sie riskierte auch nicht, bei dem Concierge nachzufragen,
um sich nach dem Ehepaar Bardon zu erkundigen. Wenn da etwas faul
war, würde sie nur die Weichen in eine Richtung stellen, die
ihnen keineswegs lieb sein konnten. Der Gedanke, daß Rani etwas
zugestoßen sein könnte, wurde mit einem Mal so stark in
ihr, daß sie es mit der Angst zu tun bekam.
Sie mußte herausfinden, was mit Rani geschehen war.
Dazu setzte sie ihre Hexenkräfte ein.
Sie blieb im Schatten neben dem Eingangsportal stehen und konnte
von hier aus sehr gut die Empfangshalle und die Rezeption
überblicken.
Drei Leute hielten sich in der hellerleuchteten Halle auf. Der
Concierge nahm gerade ein Telefonat entgegen. Das kam Danielle de
Barteaulieés Vorhaben gelegen.
Der Mann war abgelenkt, und die Gäste in der Halle merkten
sowieso nicht, was auf dem Tresen geschah.
Wie von Geisterhand bewegt, wurde dort das Gästebuch
aufgeblättert. Die Seite, auf der die letzten Eintragungen
standen, interessierten die Französin.
In diesen Minuten, da sie ihre Kräfte voll ausspielte, hatte
sie auch Augen eines Adlers. Jedesmal wenn eine Seite umklappte,
konnte sie erkennen, ob sie ganz beschrieben war oder nicht.
Sie brauchte nur wenige Sekunden, um die mit den Eintragungen vom
heutigen Tag zu finden.
Und dann geschah etwas nicht minder Unheimliches und
Faszinierendes: Die Seite wurde herausgerissen, ohne daß jemand
Hand anlegte…
Das Buch blieb aufgeschlagen liegen, die herausgelöste Seite
machte sich selbständig.
Danielle de Barteaulieé vermied es, die Seite durch die
Luft fliegen zu lassen. Sie ließ sie vorsichtig auf den Boden
fallen. Von dort aus rutschte sie über den Teppich, Richtung
Tür und befand sich jetzt auf halben Weg zu der jungen Hexe, als
der Concierge sein Telefonat beendet hatte und sich anschickte, den
Hörer aufzulegen.
Wenn der Mann sich umdrehte, mußte er das große
weiße Blatt sehen, das wie an einem unsichtbaren Faden gezogen
dem Portal entgegenglitt.
Danielle de Barteaulieé wandte einen zusätzlichen
Trick an.
Der Concierge fuhr plötzlich zusammen. Doch nicht wegen der
über den Teppich wandernden Seite aus dem Gästebuch,
sondern über die merkwürdigen Geräusche, die
plötzlich aus dem Hörer klangen.
»Hallo?« fragte der Concierge. Erst kam ein dunkler
Brummton, dem folgte die Stimme des Fräuleins vom Amt, die
behauptete, daß unter dieser Nummer kein Anschluß
vorhanden sei, schließlich entstand ein regelrechter
Wellensalat, dem der Concierge erstaunt zuhörte, dann mehrere
Male auf die Gabel drückte und die gesamte Anlage
überprüfte. Dies alles nahm Zeit in Anspruch.
Und genau die mußte Danielle gewinnen.
Sie mußte eine halbe Minute herausschinden, denn die reichte
ihr.
Das Blatt mit den Namen rutschte unter der Türritze durch und
stieg dann wie auf einem warmen Luftstrom auf ihre nach vorn
fassenden Hände.
Nur ein rascher Blick…
Da waren die Namen schon. Will Bardon und Frau Barbara…
vierte Etage, Zimmer zwölf…
Danielle de Barteaulieé schickte das Blatt zurück.
Der Concierge war noch mit der Telefonanlage beschäftigt und
suchte nach dem Fehler.
Aus dem Hörer
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