Macabros 095: Verschollen in Dwylup
Augenschlitzen aber glühte ein
unheilvolles Licht, das ihr direkt zugewandt war.
Das weit aufgerissene Maul war groß wie ein Scheunentor, und
Claire Monescue hatte das Gefühl, als solle sie von der
herabsinkenden Maske verschlungen werden.
Unheimliche Geräusche drangen aus der Kehle der Maske. Es
seufzte und stöhnte, qualvolle Schreie hallten Claire entgegen,
als würden alle Opfer, die in diesen Schlund geworfen worden
wahren zur gleichen Zeit ihr Leid in die Welt hinausbrüllen.
Die blutroten Dreiecke unter den Augen verliehen der Titanenmaske
darüber hinaus noch einen satanischen Anstrich.
Die Mauer der Monster außerhalb des Kreises wurde
dichter.
Claire Monescue sah jetzt viele, die die giftgrünen
Gewänder trugen. Die so gekleidet waren, hoben sich nicht nur
dadurch von den schuppigen, geschlechtslosen Wesen ab.
Auch ihr Äußeres war anders. Sie waren eher
fischgesichtig, denn echsenhaft, und sie schienen hier eine besondere
Stellung einzunehmen.
Alle diese Dinge nahm Claire Monescue voller Angst und Grauen in
sich auf. Der Anblick der Unheimlichen wirkte sich körperlich
auf sie aus. Im Innern war sie eiskalt, und sie spürte, wie ihr
Herz schwer und unregelmäßig schlug, als wolle es im
nächsten Moment seine Arbeit einstellen. Die Atmosphäre des
Wahnsinns und Grauens, die sie umgab, ließ sich kaum noch
atmen. Jeder Atemzug wurde für sie zu einer maßlosen
Anstrengung, daß sie meinte, ein Zentnergewicht würde auf
ihre Brust drücken.
Sie stellte fest, daß sie sich nicht direkt im Mittelpunkt
des Kreises befand. Sie lag etwa drei Meter von dem Altarblock
entfernt, der sich jetzt wie durch Zauberei aus dem Boden schob. Das
Ganze geschah mit ächzenden und knirschenden
Geräuschen.
Zwischen den flackernden Feuern kam eine Gestalt auf sie zu.
Ein fischgesichtiges Monster mit grünem Umhang.
Unwillkürlich zog sich Claire Monescues Kopfhaut zusammen,
als sich der Unheimliche ihr näherte.
Dies war ein Tempel. Hier wurde ein Ritual durchgeführt. Sie
war als Opfer für den Götzen auserkoren, aus dessen
aufgerissenem Maul über ihr der Geruch von Blut zu wehen
schien.
»Wo… bin ich hier?« fragte sie heiser. In ihren
Augen glühte ein seltsamer Schein. »Was… habt ihr mit
mir vor?«
»Du bist hier in Dwylup«, erhielt sie von dem
grüngewandeten Fischgesichtigen zur Antwort. »Wenn du tust,
was wir von dir erwarten – wird dir kein Haar gekrümmt
werden.«
»Dwylup?« echote sie, die ersten Worte des Unheimlichen
aufgreifend. »Was ist Dwylup?«
»Unsere Stadt…«
»Ich habe… nie von einem solchen Ort
gehört…«
»Dwylup liegt nicht in der Welt, aus der du kommst. Wir haben
euch – herübergeholt…«
»Der Sturm…, der Wirbel, in den die Maschine
geriet…« während sie sprach, mied sie, ihr
Gegenüber anzusehen. Auch die Monster außerhalb des
Kreises konnte sie nicht anschauen. Sie hatte den Blick zu Boden
gerichtet. Dort flackerte der Widerschein der roten Flammen und
spiegelte sich nebelhaft das riesige Götzengesicht.
»Wir haben das Unwetter ausgenutzt. Nicht zum erstenmal. Es
gibt Momente, da berühren sich die Grenzen der Welten und
fließen ineinander… seit langer Zeit suchen wir nach einem
Ausweg aus, dem Dilemma. Die bekannten Tore sind geschlossen, wir
aber müssen neue schaffen, um für die Opfer zu
sorgen…«
»Welche Opfer?« fragte sie mit grauenerfüllter
Stimme.
»Menschenopfer! Die Totenschädel draußen an den
Hausfassaden sind die Trophäen für die vorgeschriebenen
Rituale…«
»Ihr wollt auch mich töten?«
»Ursprünglich war dies beabsichtigt.«
»Ihr wollt mich also freilassen?« Hoffnung keimte
plötzlich in ihrem Herzen.
»Unter einer Bedingung.«
»Wie lautet sie?« Die Linien um die Lippen der
rotblonden Frau wurden noch schärfer. Claire Monescue war am
meisten überrascht darüber, daß sie überhaupt
noch in der Lage war, so gezielt zu antworten und zu fragen. Sie
mobilisierte in einer äußerst fragwürdigen und
tödlichen Situation Kräfte, von denen sie bisher keine
Ahnung hatte.
»Wir schicken dich in die Welt zurück, aus der du
gekommen bist«, antwortete der Priester der Monsterstadt.
»Du wirst dort alles erzählen, was du hier gesehen und
erlebt hast. Du wirst Verzweifelt und voller Ängste darüber
sein, daß sich jederzeit dieser Vorgang wiederholen
könnte. Das ist nur natürlich und wird Aufsehen erregen.
Besonders eine Person, der wir unseren Zustand der Isolation so lange
zu verdanken haben, wird sich für
Weitere Kostenlose Bücher