Macabros 102: Die Finsterlinge von Krosh
dichtblättrigen Palme verlassen und
hockte nachdenklich und besorgt auf der Schulter seines großen,
bronzefarbenen Freundes.
»Sie haben mich zusammengeschlagen, als ich ihr zu
Hilfe… kommen wollte…« Alan Kennan bemühte sich
zu berichten, damit die Freunde sich ein Bild von den Vorfällen
machen konnten. Aber man sah und merkte ihm an, daß er zu
erschöpft war, um sich zu konzentrieren. Jedes Wort wurde
für ihn zur Qual.
Da steckte Rani zurück.
»Erzähl’ es uns später, Alan… nur eines
noch: woher kommst du? Nenn’ mir den Ort, damit ich nach Camilla
sehen kann.«
»Hat… keinen Sinn, Rani… du kannst nichts mehr
für sie tun… das ›Hotel Fraque‹ ist eine Falle
– Vorsicht… wir sind bis tief in die Provence gedrungen,
weit hinter Arles… der Ort heißt Celeste. Ganz abseits
– hinter einem Hügel mit Akazien steht das alte
Gebäude… es wurde uns empfohlen… Madame Fraque sollte
dort wohnen… sie hat schon vielen in den umliegenden
Dörfern geholfen und versteht sich darauf, Menschen und Tiere zu
heilen. Das Hotel gibt es schon lange nicht mehr… seit dem Tod
ihres Mannes – hat auch sie aufgehört, es zu führen.
Sie – lebt nur noch dort, dachten wir; um Madame Fraque gibt es
einige erstaunliche Geschichten… das war es uns wert, sie
persönlich kennenzulernen… es hieß, daß Madame
Fraque allein dort lebe…, stimmt nicht… wir haben’s am
eigenen Leib… zu spüren bekommen. Camilla wurde zu Tod
geschlagen… ich konnte im letzten Augenblick gerade noch
fliehen, das ehemalige Hotel – ist voll merkwürdiger
Gäste…«
*
Im Haus war es totenstill.
Claudia Sevoir lag im dunklen Zimmer und lauschte.
Sie warf einen Blick auf das Leuchtzifferblatt ihrer Uhr: Noch
zehn Minuten bis Mitternacht.
Durch die dünnen Wände hörte sie das Schnarchen
ihres Vaters. Ein zufriedenes Lächeln, dem ein Anflug von Spott
beigemischt war, umspielte ihre Lippen.
Der Alte würde mal wieder nichts merken.
Sie warf die Decke zurück. Außer einem winzigen Slip
trug die Siebzehnjährige nichts auf der Haut.
Claudia war schlank, groß und hatte langes, dunkles Haar,
das ihr gutgeschnittenes Gesicht weich umfloß.
Sie hatte einen großen Mund, hochstehende Backenknochen und
die Leute im Dorf sagten, daß sie das schönste
Mädchen weit und breit sei.
Das wußte sie.
Ihr Vater aber sagte, daß sie auch die verdorbenste sei, und
daß er ihr diese Verderbtheit noch austreiben würde.
Claudia Sevoir war da anderer Ansicht. Was er als Verderbtheit
ansah, empfand sie als einen Teil ihrer Freiheit.
Und diese Freiheit äußerte sich in wechselnden
Bekanntschaften, Interesselosigkeit am elterlichen Betrieb.
Einmal hatte sie die Enge des Hof gutes nicht mehr aushalten
können und war per Anhalter mit einem zufällig durch die
Gegend reisenden deutschen Touristen nach Paris gefahren.
Drei Wochen war sie unterwegs gewesen. In dieser Zeit streifte sie
durch Nachtbars, ließ sich von Männern aushalten und hatte
sogar die Bekanntschaft eines jungen Modefotografen gemacht, der
wiederum ausgezeichnete Kontakte zu einem Filmproduzenten
besaß.
Armand, so hieß der Fotograf, hatte noch in der gleichen
Nacht einige Nacktfotos von ihr gemacht. Einige Aufnahmen waren an
die gängigsten Illustrierten gegangen und veröffentlicht
worden.
Armand stellte seine Neuentdeckung unter dem Namen
»Claudine« vor, verkaufte eine ganze Bilderserie unter dem
Titel »Wer ist dieses heiße Mädchen?« und
mußte die Erfahrung machen, daß die Bilder gefielen und
vor allem auch auffielen. Jugend und Schönheit ließ sich
nun mal gut verkaufen.
Er versprach, Claudia mit seinem Freund, dem Filmproduzenten
bekannt zu machen, der einen Streifen über Erotik und Sex
plante.
Doch dazu kam es nicht mehr.
Die Polizei griff Claudia in einem Pariser Vergnügungsviertel
auf und brachte sie zu ihrem Vater zurück. Dem Fotografen Armand
stand ein Prozeß ins Haus. Claudia war damals gerade
fünfzehn gewesen. Seine Ausrede, er habe sie für achtzehn
gehalten, fiel beim Gericht auf fruchtbaren Boden. Das reifere
Aussehen Claudia Sevoirs ließ ohne weiteres einen solchen
Schluß zu.
Seit fast zwei Jahren wartete Claudia Sevoir auf die Gelegenheit,
das Abenteuer von damals zu wiederholen. Die ganze Zeit waren die
Chancen, erfolgreich zu verschwinden, gering gewesen. Doch heute
nacht wollte sie es erneut versuchen…
Und es gab jemand, der ihr dabei half.
Jean-Paul Larusse, ein Bäcker aus dem Dorf.
Er war zehn Jahre
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