Macabros 102: Die Finsterlinge von Krosh
älter als sie und hatte schon lange ein
Auge auf sie geworfen. Der einfache Mann mit dem wuscheligen
Haarschopf betrachtete sie immer wieder mit Wohlgefallen, wenn sie
die Straße entlangging, wenn sie in das Geschäft kam,
lächelnd und freundlich mit ihm redete.
Aber sie machte sich nichts aus ihm.
Mit ihrem angeborenen Charme war es ihr stets geglückt, ihn
auf Distanz zu halten.
Hier im Dorf wußte man nichts von ihrem wirklichen Denken,
der Lebensart, zu der sie sich hingezogen fühlte. Die
Zeitschrift, in der damals die provokativen Fotos veröffentlicht
worden waren, schien in Cereste kein Mensch je gesehen zu haben. Hier
war die Welt noch in Ordnung.
Mehr als einmal hatte Jean-Paul Larusse sie eingeladen. Zum Essen,
zum Ausgehen, zum Tanzen, zu einem Sonntagsausflug…
Geschickt war es ihr stets gelungen, eine Ausrede zu erfinden. Und
das tollste war – der einfache Mann hatte ihr geglaubt. Was sie
sagte, nahm er für bare Münze.
Einen solchen Freund fand man nicht alle Tage…
So hatte sie begonnen, ein feines Netz zu spinnen.
In der letzten Zeit war sie immer ernster geworden, wenn sie mit
Jean-Paul gesprochen hatte.
Und prompt war seine Frage gekommen, was mit ihr los wäre.
Nichts, hatte sie geantwortet, aber es hatte nicht überzeugend
geklungen.
Dann war sie gegangen.
Am nächsten Tag, als sie in den Laden kam, setzte sie die
gleiche besorgte Miene auf.
Ob er, Jean-Paul, ihr helfen könne?
Lächelnd hatte sie die Achseln gezuckt und ein paar
verstohlene Tränen in ihre Augenwinkel gezaubert.
Sie war unglücklich. Larusse wußte das nun.
Vor drei Tagen nun hatte sie sich dazu
»überwunden«, Jean-Paul in ihr Vertrauen zu
ziehen.
Im Laden war niemand außer ihr gewesen. Da hatte sie den
Bäcker wissen lassen, daß sie gern mit ihm sprechen
möchte. Am Abend war sie mit ihm spazierengegangen. Jean-Paul
schritt mit stolzgeschwellter Brust neben ihr her.
Die weitläufigen Wiesen hinter dem Dorf, die abseits
gelegenen Äcker und Felder eigneten sich hervorragend dazu,
während eines Spaziergangs ungestört ein Gespräch zu
führen.
Claudia hatte sich ihre Geschichte gut überlegt.
Sie behauptete, einer Freundin helfen zu wollen, die sich
verzweifelt an sie gewandt habe.
Diese Freundin – sie lebe in der Nähe von Paris –
sei in Schwierigkeiten geraten. Sie sei drogenabhängig. Um ihre
Sucht zu befriedigen, habe sie Gelder in der Firma veruntreut…
Der ganze Schwindel war während einer Bücherprüfung
aufgeflogen. Nun wollte sie den angerichteten Schaden wieder
gutmachen.
»Ich habe ihr einiges von meinem Ersparten gegeben«,
hatte sie ihre Geschichte fortgesetzt. »Aber es reicht nicht.
Für meine Freundin war dies schon eine Hilfe, aber nun ist man
an mich herangetreten…« Und hier nahm ihre erfundene
Geschichte geradezu bizarre Formen an. Aber Jean-Paul glaubte ihr
dennoch jedes Wort. Dieses hübsche, engelgleiche Wesen, für
das er sie hielt, konnte nicht lügen…
Claudia Sevoir war es, als höre sie noch die Stimme des
Bäckers, als er sie fragte: »An dich? Wie kann man
Forderungen an dich haben, Claudia?«
»Die Burschen, die meine Freundin ausgenommen und kaputt
gemacht haben, wissen, woher sie das Geld bekommen hat. Sie haben
begonnen, mich zu erpressen.«
Larusse hatte sie angestarrt wie eine Spukerscheinung.
»Erpressen? Aber womit – kann man dich erpressen?«
»Damit, Jean-Paul…«, und mit diesen Worten hatte
sie aus ihrer Handtasche kurzentschlossen mehrere Fotos genommen und
sie dem Bäcker in die Hand gedrückt. »Nicht eine
einzige Aufnahme ist echt«, beeilte sie sich zu sagen, noch ehe
Jean-Paul Larusse einen Blick darauf geworfen hatte. »Ich
schwöre dir…«
Er sah das erste Bild. Seine Augen wurden groß. Die Aufnahme
zeigte Claudia Sevoir nackt auf einem prunkvoll geschmückten
Bett.
Die anderen Fotos waren nicht weniger heikel.
Jean-Paul hatte heftig geschluckt. »Wie – sind sie…
an diese Bilder gekommen?«
Claudia genoß die Überraschung und die Verwirrung ihres
Gegenübers.
»Ich weiß es nicht. Ich habe mich niemals so
fotografieren lassen…«, hatte sie unschuldsvoll
gehaucht.
»Dann ist es eine Montage. Man hat deinen Kopf auf einen
anderen Körper gesetzt. So etwas kann man fotografisch mit
relativ geringem Aufwand machen…«
»So muß es wohl sein.« Innerlich hatte sie
gegrinst. Jedes Foto war echt. Es waren die Aufnahmen, die Armand von
ihr gemacht hatte. »Man hat mich angerufen, nachdem ich die
Bilder mit der Post
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