Macabros 102: Die Finsterlinge von Krosh
seid?«
»Größe ist relativ. Es war ein kleines Schiff. Da
war auch die Gestalt aus Stein – noch kleiner…«
Macabros glaubte, nicht richtig gehört zu haben. »Willst
du damit sagen, daß sie – nachher gewachsen ist?«
»Ja.«
»Stein kann nicht wachsen, Kophas!«
»Dieser konnte es… Und er tut es noch immer. Mit jedem
Opfer, das er freiwillig annimmt, mit jedem Feind, den wir ihm
übergeben, wird er größer. Bald wird er das
Himmelsgewölbe erreichen und auch sein Reich wird immer
größer werden…«
Hätte Macabros nicht selbst erlebt, wie gewaltig die
Dimension im Innern des steinernen Kolosses schon war, er hätte
Kophas’ Worte nicht glauben können.
Doch die Wirklichkeit einer anderen Dimension sprach für
sich.
»Vor dieser Größe wirst auch du kapitulieren
müssen«, fuhr der Priester fort. »Gib dein sinnloses
Unterfangen auf. Zum Schluß wirst auch du auf der Strecke
bleiben. Es gibt keine Kraft, die dem Schlafenden widerstehen
könnte…« Bei diesen Worten begannen Kophas’ Augen
zu leuchten. Er war überzeugt von dem, was er sagte. Und er
schien in der richtigen Stimmung zu sein, weitere Anmerkungen zu
machen, um Macabros damit zu zeigen, daß er keine Chance
hatte.
Er beschrieb das Schiff der Ahnen als eine kleine Welt. Die
Ankunft auf der Erde war ein Zufall, ebenso die Notlandung auf der
Insel Xantilon. Die überlebten, waren überzeugt davon,
daß sie es nur der Anwesenheit des Schlafenden zu verdanken
hatten.
»… unsere Ahnen überlebten in diesem Wald. Und die
Stelle, wo der kleine steinerne Gott aufkam, wurde von ihnen als
Heiligtum verehrt. Der Gott begann zu wachsen. Die Eingeborenen, die
von dieser Welt stammten und die Ankunft ›der Fremden aus dem
Himmel‹ beobachtet hatten, waren scheu, primitiv und leicht zu
fuhren. Sie verehrten die Ankömmlinge selbst als Götter und
unterwarfen sich ihnen vollkommen.«
»Das sind die Traphilen, die zu Herrschern dieser Welt werden
sollen.«
»So ist es. Die Weichen sind gestellt. Sieben Priester sind
von jenen übrig geblieben, die wir als die Ahnen bezeichnen. Wir
geben die Kraft und das Wissen weiter. Der Tag, an dem der Schlafende
alles ist, steht nahe bevor…«
Macabros sah etwas klarer. Doch es gab weitere Fragen, die ihm auf
den Nägeln brannten. Er kam allerdings nicht mehr dazu, sie zu
stellen.
Ein feiner rötlicher Dunstschleier lag plötzlich
über ihnen.
Die Veränderung der Umgebung erfolgte so abrupt, daß
Macabros sich unwillkürlich auf eine mögliche Gefahr
einrichtete und er im ersten Moment nicht wußte, ob die
Realität sich tatsächlich veränderte oder ob Kophas
sich entschlossen hatte, eine Halluzination aufzubauen.
Er war bereit, das erstere anzunehmen. Die Angst vor dem eigenen
Henkersschwert steckte Kophas tief in den Knochen. Er fürchtete
den Tod besonders. Das mußte damit zusammenhängen,
daß sein Abtreten gezwungenermaßen auch die anderen sechs
Priester direkt betraf. Wenn der siebte fehlte, dann schien der
Mechanismus der geistigen Kräftebrücke zu dem Schlafenden
überhaupt nicht mehr zu funktionieren.
Die Dimension im Innern des steinernen Götzen unterstand
eigenwilligen und unbekannten Gesetzen.
Sie mußte er hinnehmen.
»Wir sind am Ziel«, sagte Kophas da. »Wir sind an
den Opfermulden…«
Seine Worte waren noch nicht verklungen, da sah er auch schon in
den rötlich flirrenden Nebelschleiern die Umrisse von
Gestalten.
Frauen vom Volk der Loarks!
Abwartend, ungefesselt standen sie in Vertiefungen, die mitten in
den sich hier verbreiternden gläsernen Fluß ragten. Die
Frauen waren alle unbekleidet.
An seiner breitesten Stelle machte der seltsame Fluß einen
Bogen. Auf der anderen Uferseite standen die rotglimmenden Berge.
Macabros war ihnen nun so nahe, daß er die schmalen, steil nach
oben windenden Pfade erkennen konnte.
Dort oben bewegten sich Menschen!
Hunderte! Tausende! Wie eine dunkle Raupe bewegte der eigenartige
Zug sich in die Höhe und verschwand in den kahlen Bergen.
Die Menschen, die dort liefen, hatten keine Köpfe. Es waren
die Opfer der Priester und Eingeborenen.
Tote – lebten! In dieser seltsamen Dimension war das
Ungewöhnliche das Alltägliche.
»Befreie sie, Kophas!« forderte Macabros seinen
unfreiwilligen auf, ohne von dessen Seite zu weichen. »Löse
den Bann, der sie wie hypnotisiert in den Opferschalen
festhält.«
»Das kann ich nicht, ich…«
Die Klinge des Henkersschwertes lag hart auf seiner Kehle.
»Ihr hattet die Macht, sie hierher
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