Macabros 102: Die Finsterlinge von Krosh
wußte selbst nicht, wie er es schaffte,
bis zu dem Himmelbett vorzukommen. Dort hielt er sich fest.
Offensichtlich durch eine vom Reich der Finsternis verliehene
magische Kraft war diese junge Madame Fraque in der Lage, die
Lähmung, die die Kälte in seinen Gliedern bewirkte,
günstig zu beeinflussen. Sie ließ die Kette etwas
länger, blieb stehen und lächelte ihm erwartungsvoll
zu.
»Schade«, sagte sie dann, »schade, daß meine
Freunde nicht die deinen sind. Du gefällst mir. Wir würden
ein ausgezeichnetes Paar abgeben, findest du nicht auch? Denn so
– wie ich vor einigen Stunden noch war, hättest du wohl
kaum Gefallen an mir gefunden…«
Rani sah jetzt, daß hinter dem weiterhin dicht fallenden
Schnee eine mit einem Vorhang geschlossene Nische lag, in der ein
Sessel stand. Der Vorhang war halbdurchsichtig.
Die schemenhaften Umrisse einer dort sitzenden Gestalt waren zu
erkennen.
Kraftvoll zog Charmaine Fraque den Vorhang zurück.
Mahay stöhnte.
Im Sessel dahinter saß eine uralte Frau, verwelkt, kraftlos,
das Atmen fiel ihr schwer.
»Das ist – Madame Fraque, das war ich…«,
vernahm er wie aus unwirklicher Ferne die Stimme der jungen Frau.
»Claudia Sevoir war das Opfer, auf das ich in dieser Nacht
gewartet habe. Ihre Seele, ihre Lebenskraft habe ich aufgesogen. Ihr
Körper nahm mein Aussehen, meine Kraftlosigkeit an. Der Tausch
der Seelen ist vollzogen. Während ich weiterleben werde mit dem
jungen Körper Claudias, wird die junge Claudia in meinem alten
Körper sterben…«
Die stumpfen, matten Augen der alten Frau im Sessel waren
flehentlich auf Mahay gerichtet, die vertrockneten Hände
zitterten, lösten sich mühsam vom Schoß, und einen
Moment sah es so aus, als wolle die Alte ihre Hände hilfesuchend
nach dem Inder ausstrecken, dem das Grauen die Kehle
zuschnürte.
Dann fielen die runzligen Hände in den Schoß
zurück. Die Lebenskraft war aufgebraucht, und die junge Claudia
Sevoir starb in dieser Sekunde im uralten Körper der Madame
Fraque…
Über Ranis Lippen drang ein Stöhnen.
Seine Fingernägel krallten sich in das harte Holz einer der
vier Säulen, die den Himmel des Bettes trugen.
»Du siehst, ich habe dich nicht belogen«, fuhr die junge
Madame Fraque fort. »Ich habe ihren Körper übernommen
– und damit viel Zeit gewonnen. Für mich beginnt ein neuer
Lebensabschnitt, für dich endet er. Denn das, was mir zuteil
wird, muß belohnt werden. Ich habe von Molochos und
Rha-Ta-N’my viel erhalten, ich stehe in ihrer Schuld. Ich kann
nicht zulassen, daß Menschen wie du nach einem Weg suchen, ihre
Einflüsse einzuschränken oder gar zu zerstören. Ich
sehne mich nach der Wiederkunft der Dämonengöttin… ich
kann die Sehnsucht meiner Freunde verstehen, die hier wohnen, ohne
daß jemand von ihnen weiß. Ich werde dich mit frohem
Herzen ihnen überlassen… Aber zuvor muß ich noch
etwas erledigen. Damit du siehst, wie stark meine Macht schon ist und
daß ich nichts übersehe. Gehen wir zurück zu
Jean-Paul…, der Claudia Sevoir begleitet hat. Er stammt wie sie
aus Cereste.
Claudia war ein leichtfertiges Ding.Wenn sie verschwunden ist,
wird eskein großes Geschrei geben. Sie ist mal wieder
ausgerissen. Nach Paris. Sie hat so unruhiges Blut… kein Mensch
wird sich darüber Gedanken machen, warum sie sich plötzlich
so verändert hat. Sie war jahrelang meine Marionette, und den
Sinn des Bösen habe ich ihr eingepflanzt, damit sie sich besser
für meine Zwecke eignet. Hierher wird niemand kommen, um sie zu
suchen. Sollte wider Erwarten doch eine Suchaktion stattfinden, wird
man weder die junge Madame Fraque finden, noch die alte Frau dort im
Sessel. Und selbst wenn sie jemand zu Gesicht bekäme, würde
wohl niemand auf die Idee kommen, daß es sich um eine um mehr
als achtzig Jahre gealterte Claudia Sevoir handelt…«
Was sie sagte, klang böse. Und sie sah auch böse aus.
Sie lebte im Sinn Rha-Ta-N’mys und Molochos’, und Rani war
sich im klaren darüber, daß von dieser Person und ihren
geheimnisvollen Freunden noch weitere Gefahren und Aktivitäten
ausgehen würden. Die Mächte der Finsternis waren in diesem
Haus bestens vertreten.
Mahay unternahm einen konzentrierten Versuch sich nach Marlos
abzusetzen. Er konnte aus dem Raum, in dem der Schnee nun schon zehn
Zentimeter hoch lag, nicht entfliehen.
»Ich habe Macht über die Elemente«, gab Madame
Fraque ihm bekannt. »Ich könnte flüssige Lava durch
das Haus schicken, einen Sandsturm entfachen und könnte
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