Macabros 116: Die Droge der Götter
alter Bekannter begrüßt und auch
entsprechend behandelt. Er brauchte nicht viel zu sagen, erhielt
seinen Drink à la Ron und mußte hauptsächlich nur
noch zuhören. Durch geschickte Gesprächsführung
würde es ihm gelingen, mehr und mehr über sich
herauszufinden.
Der echte Ronald Myers konnte sich denken, wie das vor sich gehen
mußte.
Hätte er größeres Interesse für seine neue
Existenz als Marvin Cooner gehabt, wäre es für ihn
unerläßlich gewesen, seine Fühler in dem
Bekanntenkreis auszustrecken, in dem Cooner gewöhnlich
verkehrte.
Er hätte genau gewußt, wie er das anzustellen hatte.
Aber es interessierte ihn nicht.
Ihm lag mehr daran, aus dieser Existenz zu fliehen und seinen
richtigen Körper wieder zurückzuerobern.
Es war erstaunlich, daß er überhaupt in der Lage war,
so sachlich über diese Dinge nachzudenken.
Hätte man ihm vor drei Tagen gesagt, daß ein Mensch
einen anderen Körper praktisch ›stehlen‹ konnte, er
hätte sich gekugelt vor Lachen.
Der Übergang von einem Körper in den anderen war ein
wahrer Alptraum gewesen.
Er hatte neue Glieder, ein neues Gesicht und wußte doch noch
alles über seine wirkliche Lebensart und seine wahre
Identität. Dieses Mißverhältnis würde ihn mit
der Zeit in den Wahnsinn treiben, das wußte er. Für Marvin
Cooper dagegen würde es eine Wonne sein, mehr und mehr in die
Rolle und damit in das Leben des reichen Ronald Myers zu
schlüpfen.
Der Mann vorn an der Bar schäkerte mit Antonia.
»Genau wie ich«, knurrte der echte Myers im
Separée. »Er braucht bloß zu reagieren und merkt,
wie der Hase läuft… Hier im Club braucht er sich nicht
groß anzustrengen. Was können wir tun, Dick? Ich werde
verrückt bei dem Gedanken, daß der Kerl mein Leben
führt und ich mich verstecken muß, damit ich nicht in eine
Nervenheilanstalt eingeliefert werde, wenn ich behaupte, Ronald Myers
zu sein.«
»Wir müssen abwarten und ihn beobachten. Den gleichen
Auftrag hat der Privatdetektiv auch. Jede Eile wäre jetzt
schädlich. Wenn es stimmt, daß er über
außergewöhnliche Kräfte verfügt, müssen wir
uns in acht nehmen. Dann hilft nur ein überraschender Angriff.
Laß diesen Abend erst mal ablaufen.«
Er lief anders ab, als sie beide in diesem Moment ahnten, denn
noch jemand hatte Interesse daran, Ronald Myers zu sehen: Mario
Santelli, der in der letzten Nacht sein Ziel nicht erreicht
hatte.
Der Italiener betrat wenige Minuten vor zwanzig Uhr den
Zuschauerraum. Sein Tisch in der vordersten Sitzreihe war wie immer
reserviert.
Santelli kam nicht allein.
Drei weitere Italiener befanden sich in seiner Begleitung.
Hinter dem Vorhang auf der Bühne waren schon leise Schritte
zu vernehmen, und der Vorhang bewegte sich.
Die Vorstellung stand dicht bevor.
Vom Separee aus konnten Dick Lorington und der echte Ronald Myers
auch den Tisch mit Santelli überblicken.
»Der Pizza-Mafiosi ist anders als sonst, Ron«, murmelte
Dick Lorington. Wenn er von Santelli sprach, dann bezeichnete er ihn
nur mit diesem Begriff. »Da liegt was in der Luft. Letzte Nacht,
unser Anruf, hat was in Bewegung gebracht. Clarissa ist der
Schlüssel. Santelli weiß, wo sie zu finden ist.«
Auch dem echten Myers fiel auf, daß der Italiener und seine
Begleiter am Tisch die Köpfe zusammensteckten.
Immer wieder gingen Blicke zur Bar hinüber, an der
›Ronald Myers‹ saß.
Der grinste still und überheblich vor sich hin.
Da erhob sich Mario Santelli, verließ seinen Tisch und ging
an die Theke.
Demonstrativ setzte er sich in unmittelbare Nähe des falschen
Myers.
»Man sieht immer wieder die alten, vertrauten Gesichter,
Santelli«, sprach der falsche Myers ohne die Miene zu
verändern. »Eigentlich hätte ich nach dem Verlauf der
letzten Nacht nicht damit gerechnet, Sie hier noch mal zu
sehen.«
»Sie nehmen den Mund reichlich voll, Myers«,
preßte Santelli hervor.
Die beiden Männer im Separee konnten von diesem Gespräch
kein Wort mitbekommen.
»Ich habe allen Grund dazu, Santelli.« Myers griff nach
seinem Spezial-Cocktail und prostete dem Italiener zu.
»Schließlich haben wir klare Fronten geschaffen. Clarissa
hat sich für mich entschieden, Ihr Gorilla blieb tot auf der
Strecke – und die Polizei hat nichts gefunden…«
»Sie sind ein Teufel, Myers! Sie haben die Leiche
verschwinden lassen. Dieser Mord wird Sie noch teuer zu stehen
kommen.«
»Da müßten Sie erst mal die Leiche finden,
Santelli. Keine Leiche – kein Mord. So einfach ist
das.«
Das Gespräch
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