Macabros 116: Die Droge der Götter
mußte enorm
sein.
Die Häuser waren röhrenförmig, dunklere Schatten in
einem Schattengebilde.
Ein faseriger Himmel, der aussah wie ein zu dick geratener
Jutesack, spannte sich über Straße, Gebäude und
Menschen.
Die Eindrücke, die Hellmarks Psyche empfing, traten immer
stärker hervor.
Er merkte, daß er auf das Gespinst zuging, sich
plötzlich ebenfalls in der Straße befand, und das, was er
vorhin als Netz oder Nische angesehen hatte, aus der Nähe in
Wirklichkeit von gewaltigem Ausmaß war.
Er lief zwischen den Silhouetten, blieb stehen, sah sich um und
hörte das Raunen, ohne es zu verstehen.
Niemand kümmerte sich um ihn, den Fremden.
Er mußte für die Schatten unsichtbar sein wie ein
Geist.
Er merkte, daß viele Gestalten mit den Ballonköpfen auf
ein Gebäude zustrebten, das riesig in seinen Ausmaßen war,
ein schwarzer Tempel, der bis in den Himmel ragte und aus dem ein
Teil des dunklen Geflechts wie eine fremdartige, bizarre Antenne
wuchs.
Es schien, als würde aus dem Tempeldach das Gespinst kommen,
ein Nervengeflecht, das dort entstand.
Björn Hellmarks Sinne hatten sich an das Halblicht inzwischen
so gewöhnt, daß er das dunkelrote Glühen registrieren
konnte, das dahinter lag.
Der Himmel… Daran stand eine riesige, dunkelrote Scheibe.
Eine Sonne von erlöschender Kraft.
Sie nahm fast den ganzen Horizont ein.
Die Luft in den Straßen war kühl.
Je mehr er aus der vorderen Region herauskam, desto mehr
›Hinterland‹ bekam er zu sehen, und desto stärker
empfand er die Kälte, die aus dem freien Land in die
Straßen fegte.
Schnee- und Eisflocken tanzten durch die Luft. Die Temperaturen
waren empfindlich tief.
Eine sterbende Welt…
Die Bewohner dieses Sterns, auf dem er angekommen war, hatten den
Endpunkt ihrer Entwicklung erreicht. Eine Sonne starb. Ohne Sonne
keine Wärme, ohne Wärme – kein Leben. Das war das
eherne Gesetz der Natur.
In die Gestalten auf den Straßen kam Bewegung.
Sie begannen zu rennen, und eilten auf das weit offenstehende
Tempeltor zu.
Das war der Ort, aus dem die traurigen Gesänge und
Klänge kamen.
Auch Björn Hellmark beschleunigte unwillkürlich seinen
Schritt und eilte dem offenen Tor entgegen.
Niemand kümmerte sich um ihn, niemand schien ihn
wahrzunehmen.
Hinter ihm erschollen plötzlich entsetzliche Schreie.
Dazwischen mischte sich dumpfes Grollen, als ob Donner über
das Land zöge.
Hellmark warf den Kopf herum.
In der Dunkelheit hinter ihm war ein riesiger Schatten zu
erkennen, der rasend näherkam. Der Schatten fraß das
Halblicht, in dem die Umrisse der Säulen, der Gänge und
Schächte einigermaßen gut zu erkennen waren.
Wo der Schatten hinkam, war aber nichts mehr.
Auch die langgezogenen Gestalten mit den Ballonköpfen
nicht!
Todesschreie hallten durch die Luft, als würde die Luft
selbst zu schreien anfangen.
Die langgliedrigen Gestalten wurden – im wahrsten Sinn des
Wortes – von dem Schatten gefressen, aufgenommen…
Ein allgemeines Rennen setzte ein. Die Menschen mit den
Ballonköpfen, die die ganze Zeit über friedlich in den
düsteren Straßen gestanden hatten, liefen in
überstürzter Flucht auf das offene Tempeltor zu.
Die Aufregung war gewaltig.
Sie liefen um ihr Leben, und jeder versuchte so schnell wie
möglich, den schützenden Hort zu erreichen.
Unwillkürlich begann auch Hellmark zu rennen und verdoppelte
seine Anstrengungen, je näher der gigantische Schatten kam.
Viele Bewohner der Straße schafften es, den Tempel zu
erreichen, andere waren zum Zeitpunkt des rätselhaften Angriffs
zu weit entfernt oder zu langsam.
Sie wurden verschluckt.
Noch zwanzig Schritte!
Die Flüchtenden behinderten sich vor dem Eingang gegenseitig,
schlugen um sich und fielen zu Boden. Vor dem Tor kam es zu einem
Stau.
Nichts ging mehr…
Der formlose Schatten, der lautlos und schnell wie schwarzer Nebel
die Straßen, Gänge, Schächte und Räume zwischen
den Säulen füllte, schwappte über sie hinweg.
Er war wie ein lauer Wind, der ihre Körper streifte. Auch
Björn fühlte die eigenartige Bewegung schon.
Viele Dinge gleichzeitig erreichten noch sein Bewußtsein,
ehe auch er den tödlichen Sog fühlte.
Zwischen den Menschen ganz vorn erblickte er Carminia!
Sie war mitten im Gedränge und wurde zu Boden geschubst.
Björn kämpfte sich nach vorn.
Er wußte selbst nicht, woher all die Fremden mit einem Mal
gekommen waren. Offenbar aus sämtlichen Richtungen waren sie
herbeigeeilt. Der Tempel schien weit und breit der
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