Macabros 120: Giftstachel des Skorpion-Dämons
voller Ernst. Er roch nach Schwefel! Du kannst
von mir denken, was du willst… Ich hätte meine
Gefühle, die ich seit dem frühen Morgen mit mir herumtrage,
nicht unterdrücken sollen, sondern besser auf sie
hören… Mit Vesner stimmt etwas nicht! Der Mann ist mir
unheimlich…«
»Unheimlich? Ich verstehe dich nicht, Desirée. Er ist
ausgesprochen charmant. Wahrscheinlich hast du dich von ein paar
nervösen Kolleginnen durcheinander bringen lassen, die vorhin
gleich lauthals meckerten, weil etwas nicht nach ihrem Geschmack war.
Bei einem solchen Unternehmen – besonders dann, wenn Eile
geboten ist – kann jederzeit etwas schiefgehen. Na und…?
Das ist doch kein Grund, gleich Schwarzmalerei zu
betreiben.«
»Gewiß nicht. Aber einiges ist hier nicht in
Ordnung.«
»Gründe!«
»Kann ich kaum nennen. Es ist mein Gefühl… so
etwas… wie eine Ahnung… da war dieser Schwefelgeruch…
die Stimme, die mit der übereinstimmt, die ich in jenen Minuten
hörte, als ich von dem unheimlichen Besucher erstickt werden
sollte.«
»Willst du damit etwa sagen, daß Vesner es war, der am
frühen Morgen wie ein Geist in deinem Zimmer erschien?«
Jeanne war stehengeblieben und starrte die Freundin an.
Desirée seufzte. »Ich weiß, daß sich das
alles ungereimt anhört. Aber wenn du mich fragst, will ich dir
auch eine ehrliche Antwort geben. Ja, manchmal kommt es mir so vor,
als wäre er es gewesen, der mich umbringen wollte…
Natürlich ist das Blödsinn, wie soll er in mein Zimmer
gekommen sein, welche Gründe sollte er haben… tausend
Argumente sprechen gegen eine solche Annahme. Er will etwas von
mir… von dir… von uns allen… Aber ich finde es heraus,
was es wirklich ist, darauf kannst du dich verlassen!«
»Was hast du vor?«
»Einiges. Ich möchte nicht darüber
sprechen.«
»Desirée! Mach keinen Unsinn! Du jagst mir Angst
ein…«
»Keine Sorge, Jeanne. Ich bin schon vorsichtig und werde
herausfinden, warum er nach Schwefel roch… und warum er mir
keine Hand gab, wie es doch vorhin eigentlich ganz natürlich und
vernünftig gewesen wäre.«
»Eins mußt du mir versprechen.«
»Ja?«
»Wenn du Hilfe brauchst, wendest du dich an mich.«
»Versprochen, Jeanne.«
*
Sie stellte ihr Handgepäck auf einen Stuhl, warf sich einige
Minuten quer über das Bett und dachte nach.
Vesner war mit dem Taxi weggefahren. Sie konnte es also
riskieren…
Obwohl ihr einige Stunden Schlaf nach den strapaziösen
Vorbereitungen gut getan hätten, konnte sie kein Auge
schließen.
Desirée war voller Unruhe, erhob sich und öffnete ihre
Handtasche.
Mit einem Stielkamm und einer Haarnadel war sie in der Lage, jede
Tür zu öffnen. Ein ehemaliger Freund, der Automechaniker
war, hatte ihr diesen Trick beigebracht. Nun konnte sie ihn zum
ersten Mal anwenden.
Sie öffnete spaltbreit die Tür ihres Zimmer. Der
schummrige, enge Korridor mit den mündenden Türen lag
menschenleer vor ihr. Rumoren hörte man in den Zimmern, dann
Stimmen, plätscherndes Wasser…
Nur keine Radiomusik. Mit solchen Geräten waren die Zimmer
nicht ausgestattet.
Desirée Mallon zog ihre Schuhe aus, lehnte die Tür an
und huschte auf Zehenspitzen zur Korridorecke. Drei Zimmertüren
weiter befand sich Maurice Vesners Unterkunft.
Ungesehen erreichte sie die Tür.
Ein letzter Blick über die Treppe nach unten und den Korridor
zurück – dann unternahm sie ihren Einbruchsversuch.
Überrascht stellte Desirée fest, daß die
Tür nicht abgeschlossen war.
Sie hielt den Atem an und klopfte zaghaft an, um sich zu
vergewissern, ob nicht jemand im Zimmer war. Vielleicht Vesners
Sekretärin, die etwas holen mußte.
Sollte das der Fall sein, wäre Desirée nicht um eine
Ausrede verlegen…
Eine Tür ging. Am anderen Ende des Korridors wurde ein Zimmer
geöffnet.
Desirée Mallon handelte automatisch.
Klinke herabdrücken, Tür nach innen schieben und
über die Schwelle huschen – waren eins. Dabei riskierte
sie, in eine zwielichtige Situation zu geraten für den Fall,
daß die Sekretärin sich tatsächlich im Zimmer
aufhielt.
Sie drückte die Tür ins Schloß und befand sich in
dem fremden Raum, den zu inspizieren sie sich vorgenommen hatte.
Die Sekretärin war nicht da, aber Maurice Vesner hatte
Desirée Mallon am wenigsten erwartet…
*
Sie stand da wie angewurzelt.
Vesner musterte sie eiskalt lächelnd.
Am liebsten hätte Desirée auf dem Absatz kehrt
gemacht. Aber sie schien wie gelähmt und war unfähig, sich
zu
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