Macabros Neu 01 - Der Leichenorden von Itaron
das Tagesprogramm früh beginnen zu wollen.
Dem Gästezimmer schloss sich ein winziges Badezimmer an – gerade groß genug, ein Waschbecken und eine Toilette zu beherbergen. Das genügte allerdings, zumal es freundlich und hell eingerichtet war. Die Sanitärobjekte glänzten, als wären sie frisch installiert worden, auch auf den weißen Wandfliesen fand sich kein noch so kleiner Fleck, nicht einmal ein Fläumchen Staub.
Oder – doch?
Friedrich presste die Augen zusammen.
Das konnte es doch gar nicht geben!
Eben hatte er sich eingebildet, der ganze Raum hänge voll mit dicken, klebrigen Spinnweben, und das Waschbecken hätte sich in ein rostiges, überbreites Ausgussbecken verwandelt, wie man es vielleicht am Anfang des Jahrhunderts verwendet hatte!
Doch schon im nächsten Augenblick war es wieder vorbei.
Verwirrt beendete Schmaranzer die Morgentoilette, kleidete sich an und ging in Richtung des kleinen Speisesaals, der ihm gleich nach seiner Ankunft im Schloss gezeigt worden war. Um Punkt neun Uhr würde dort das Frühstück mit den vier anderen Gästen, dem Schlossbesitzer Bornier und dem Journalisten Andreas Bottlinger stattfinden, der dieses Wochenende organisiert hatte.
Schmaranzer fühlte sich immer noch wie in einem Märchen. Er hatte vorgestern am Abend zum ersten Mal mit Bottlinger telefoniert, weil ihm das grobkörnige Zeitungsbild, das ein Gemälde des Künstlers Bornier zeigte, nicht mehr aus dem Kopf ging. Und heute schon befand er sich in diesem Schloss, hatte zu diesem Zweck alle Termine abgesagt und einige Kundengespräche auf die nächste Woche verschoben, was ihm noch einigen Ärger einbringen würde. Aber darum würde er sich kümmern, wenn es soweit war.
Obwohl er knapp in der Zeit lag, war er erst der zweite, der den Speiseraum betrat.
Dort war an zwei aneinander gestellten Tischen für sechs Personen gedeckt – das einzige, das noch fehlte, waren die Nahrungsmittel.
»Guten Morgen«, sagte die andere Person im Raum.
Natürlich hatte Friedrich Schmaranzer ihren Namen nicht vergessen … den Namen einer solchen Frau vergaß kein Single, der auch nur einen Funken Verstand im Kopf hatte. »Guten Morgen, Hannah«, erwiderte er. »Haben Sie gut geschlafen?«
Für einen Augenblick huschte ein Schatten über ihr Gesicht, und sie sah aus, als trage sie sich mit großen Sorgen, ehe sie lächelte, was im gesamten Raum die Sonne aufgehen ließ. »Wie ein Stein. Ich fühle mich so ausgeruht wie schon lange nicht mehr und bin gespannt auf das, was uns erwartet!«
Friedrich musterte sie – etwas zu auffällig, wie er hinterher befürchtete. Hannah trug einen raffiniert geschnittenen, eng anliegenden Pullover, der keinen Zentimeter ihrer aufregenden Figur verbarg. Der Ausschnitt ging gewagt tief und offenbarte gerade so viel, dass es Schmaranzer wohl den ganzen Tag schwer fallen würde, nicht ständig dorthin zu sehen. Langes, kastanienbraunes Haar fiel bis weit über die Schultern.
Er räusperte sich. »Von den anderen Gästen haben Sie noch nichts gehört?«
Sie schüttelte den Kopf. »Bei meiner Zimmernachbarin Christiane Wallbaum habe ich sogar geklopft, weil wir gestern verabredet hatten, gemeinsam zum Frühstück zu gehen. Sie hat sich aber nicht gerührt … Da wollte ich sie nicht länger stören. Es geht mich schließlich nichts an, ob sie zu spät kommt. Ich kenne sie ja erst seit gestern.«
Friedrich zögerte. Er war nicht gerade ein Frauenheld, und eine Schönheit wie Hannah schüchterte ihn ein. »Darf ich mich neben Sie setzen?«
Sie lächelte einladend … ein Lächeln, das in Schmaranzers Phantasie alles versprach.
Sie redeten über Nichtigkeiten. Friedrich versuchte, einen möglichst lockeren Eindruck zu hinterlassen und den einen oder anderen Scherz anzubringen. Und obwohl er sich in Hannahs Gesellschaft äußerst wohl fühlte – von seiner Nervosität abgesehen – wurde das Hungergefühl zunehmend unangenehmer.
Beiläufig warf er einen Blick auf die Armbanduhr. Es war bereits zwanzig Minuten über der Zeit.
Endlich betrat der Schlossbesitzer den Raum.
Michael Bornier sah geradezu erschreckend aus – schon gestern hatte er alt, erschöpft und hinfällig gewirkt, aber der Mann, der sich nun vor ihren Tisch stellte, wirkte, als müsse er jeden Augenblick tot zu Boden stürzen. Die Gesichtshaut war eingefallen, die Falten tief eingegraben. Der Rücken der Hakennase trat scharf hervor. Die wenigen Haare standen schlohweiß und ungepflegt in alle Richtungen. Hatte er
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