Macabros Neu 02 - Athkrala - Seuchengezuecht des Molochos

auf!
    Splitter sausten Björn um den Kopf, einer bohrte sich in die linke Wange und riss eine blutende Wunde.
    »Was geschieht mit dir?«
    Björn erzitterte unter dem Eindruck entsetzlichen Schmerzes, den er gedanklich empfing. Der Torrax musste in diesen Sekunden Höllenqualen durchleiden. Den eigenen Schmerz fühlte Björn kaum, wischte mit einer beiläufigen Bewegung das Blut aus dem Gesicht.
    Der Riss im Hauptstamm weitete sich und schoss zugleich in die Höhe, spaltete den Stamm ab einer Höhe von etwa zwei Meter über dem Boden. Aus dem Riss rieselte feiner Staub …
    »Das Seuchengezücht war schon in dir«, rief Hellmark fassungslos. Und nun stieß der Torrax es aus sich hinaus …
    Der Hundertste wankte. Die untere Hälfte seines Stammes war mit dem goldgelben Harz besudelt. Ganze Äste brachen entlang des Risses ab und fielen tot zu Boden. Blätter verloren ihr saftiges Grün, verdorrten und rieselten herab, landeten auf Björn, der sich entsetzt fragte, ob er dem Freund den frühzeitigen Todesstoß versetzt hatte.
    Das Baumwesen »brüllte« in Björns Gedanken. Es neigte sich zur Seite und krachte auf den Boden, rollte wie ein totes Stück Holz weiter. Kleine Äste in der Krone splitterten unter der ungewohnten Belastung, jedes Mal spürte auch Björn das Äquivalent eines scharfen Schmerzes.
    Noch immer rieselte Staub, stob auf zu großen Wolken, die sich nur langsam wieder absenkten.
    Der Riss erreichte das obere Ende des Stammes, der Körper des Torrax bog sich in zwei Hälften …
    Dann war es endlich vorbei.
    Björn fragte sich erschüttert, ob der Freund diese Tortur und Verstümmelung überlebt haben konnte. Doch er durfte nicht die Maßstäbe anlegen, die er von einer menschlichen oder tierischen Lebensform gewohnt war. Der Hundertste glich nicht nur äußerlich einer Pflanze, einem Gewächs …
    Die Gedanken des anderen jedenfalls erloschen nicht, sondern klärten sich. Ich bin frei.
    »Ich … ich wusste nicht, was ich dir antue und wie weit sich das Seuchengezücht bereits in deinen Leib gefressen hat.«
    Du hast es zerstört, das ist alles, das zählt. Es wollte fliehen, wollte aus mir herausbrechen, um dem Verhängnis zu entgehen. Doch wir haben gesiegt. Es gibt nun keine Spur des Verderbens mehr in mir.
    »Wirst du es überstehen?«
    Ein mentales Lachen, rauschend und übersprudelnd vor Freude. Ich habe es bereits überstanden, mein Freund …
    »Dein Stamm ist …«
    Ich werde mich daran gewöhnen. Mein Harz verschließt die riesigen Bruchstellen bereits. Ab sofort werde ich als Gespaltener existieren – es gibt Schlimmeres. Manche entwickeln sich ohnehin so, vom Kindesalter an.
    Die Wurzeln wimmelten in der Luft, senkten sich zu Boden, krallten sich fest und spannten sich.
    Vor Björns Augen, der nicht fassen konnte, was er sah, stemmte sich der Baum wieder in aufrechte Position, hob sich Zentimeter für Zentimeter.
    Machen wir uns auf und suchen einen Weg ins Innere von Ita-Sergaron, meinte der Torrax.
    »Du hast wohl neuen Mut gewonnen?«
    Wundert dich das? Mir wurde die Aussicht auf ein neues Leben geschenkt. Ich werde das Beste daraus machen. Mehr denn je bin ich davon überzeugt, dass du derjenige bist, der die tödliche Bedrohung durch Ath’krala beseitigen wird … Du bist aus dem Nichts gekommen, bist unverhofft aufgetaucht und hast eine heldenhafte Wundertat vollbracht.
    Zwar fühlte sich Björn ganz und gar nicht wie ein Held, aber er widersprach nicht. Er hoffte nur, dass er der Rolle gerecht werden konnte, die der Hundertste ihm zugedachte. »Du weißt, wie es um dein Land steht. Wo könnten wir noch versuchen hineinzufinden?«
    Nach allem, das ich weiß, gibt es keinen Weg mehr. Der Widersacher, den du Molochos nennst, hat ganze Arbeit geleistet. Er versucht, dich fernzuhalten, weil er weiß, dass du Ath’krala gefährlich werden kannst, aber das darf ihm nicht gelingen.
    »Man müsste fliegen können … Dann könnten wir den Gürtel leicht überwinden, den das Seuchengezücht gezogen hat.«
    Der Torrax verschwendete keinen Gedanken als Antwort.
    Die Lage schien aussichtslos.
    Björn schaute sich um und entdeckte am Eingang zum Knochental, hinter den Nebelschwaden, ein bläuliches Leuchten, das ihm nur allzu bekannt war. Er ließ sich nichts anmerken, um das spinnenartige Wesen nicht zu verscheuchen. Sie hatten sich als gutmütig, aber auch schreckhaft erwiesen – und der Hundertste entsprach äußerlich genau dem, was sie als schrecklichen Feind kennengelernt