MacBest
zurück.
»Lieber Himmel«, hauchte sie. »Das willst du doch nicht versuchen, oder?«
»Ich bin fest entschlossen.«
»Lieber Himmel«, flüsterte Nanny und fügte hinzu: »Hast du dir das gut überlegt?«
»Ja.«
»Hör mal, Esme. Ich meine, die Schwarze Aliss war eine der besten. Ich meine, du bist ziemlich gut, soweit es, äh, Pschikologie und Denken betrifft. Ich meine, die Schwarze Aliss ging immer voll drauf los.«
»Glaubst du, sie sei fähiger gewesen als ich?«
»Entschuldigt bitte«, ließ sich Magrat vernehmen.
»Nein. Nein, natürlich nicht.« Nanny überhörte die junge Hexe.
»Gut.«
»Allerdings … Nun, sie war ein, äh, echter Wildfang, so wie der König sagte.«
»Doyenne«, verbesserte Oma Wetterwachs, die im Lexikon nachgesehen hatte. »Er sprach von Doyenne. Das bedeutet etwas ganz anderes.«
»Entschuldigt bitte.« Magrat sprach nun lauter. »Wer war die Schwarze Aliss?« Rasch fuhr sie fort: »Und fangt jetzt bloß nicht damit an, wortlose Blicke zu wechseln und über meinen Kopf hinweg zu reden. Immerhin besteht dieser Zirkel aus drei Hexen.«
»Sie lebte vor deiner Zeit«, antwortete Nanny Ogg. »Auch vor meiner. Drüben bei Skund. Soll sehr mächtig gewesen sein.«
»Wenn man den Gerüchten Glauben schenken darf«, schränkte Oma Wetterwachs ein.
»Einmal hat sie einen Kürbis in eine königliche Kutsche verwandelt«, sagte Nanny.
»Angeberei«, kommentierte Oma. »Es nützt niemandem etwas, wenn man bei einem Ball erscheint und wie eine Pastete riecht. Und dann die Sache mit dem gläsernen Schuh. Gefährlich, wenn ihr mich fragt.«
Nanny achtete nicht auf die Unterbrechung. »Ihre größte Leistung bestand darin, ein ganzes Schloß hundert Jahre lang schlafen zu lassen. Bis …« Sie zögerte. »Kann mich nicht mehr erinnern. Ging es dabei um Rosensträucher oder ein Spinnrad? Ich glaube, irgendeine Prinzessin mußte sich in den Finger stechen … Nein, es war ein Prinz. Ja, ich bin ziemlich sicher.«
»Ein Prinz mußte sich in den Finger stechen?« warf Magrat verwirrt ein.
»Nein. Er sollte die Prinzessin küssen. Tja, die Schwarze Aliss war sehr romantisch. Das fand auch in ihren Zaubersprüchen Niederschlag. Sie mochte kleine Spielchen, zum Beispiel Mädchen trifft Frosch.«
»Warum nannte man sie Schwarze Aliss?«
»Wegen der Fingernägel«, erläuterte Oma Wetterwachs. Nanny Ogg nickte. »Und der Zähne. Aß dauernd Süßigkeiten. Wohnte in einem Pfefferkuchenhäuschen. Zwei Kinder haben sie schließlich in den Ofen geschoben. Schockierend.«
»Und jetzt wollt ihr Schloß Lancre schlafen lassen?« vergewisserte sich Magrat.
»Es hat nie irgendein Schloß geschlafen«, entgegnete Oma Wetterwachs. »Das sind nur die dummen Geschichten dummer Frauen.« Sie bedachte Nanny mit einem finsteren Blick. »Aliss hat nur die Zeit ein wenig beschleunigt. Das ist gar nicht so schwer, wie viele Leute glauben. Es geschieht immerzu. Man vergleiche die Zeit mit Gummi, das man ganz nach Belieben strecken kann.«
So etwas gehört sich doch nicht, wollte Magrat antworten. Die Zeit ist Zeit. Jede Sekunde dauert genau eine Sekunde. Das ist ihre Aufgabe, ihre Pflicht …
Dann erinnerte sie sich an Wochen, die wie im Flug vergingen, und an Nachmittage, die sich zu einer Ewigkeit dehnten. Gelegentlich schienen aus Minuten Stunden zu werden, und manche Stunden verstrichen so schnell, daß man es kaum merkte …
»Aber das ist doch nur persönliche Wahrnehmung«, sagte sie. »Nicht wahr?«
»O ja«, bestätigte Oma Wetterwachs. »Natürlich. Das gilt für praktisch alles. Macht es irgendeinen Unterschied?«
»Nun, hundert Jahre wären ein wenig übertrieben«, murmelte Nanny.
»Fünfzehn genügen sicher«, meinte Oma. »Fünfzehn, eine hübsche runde Zahl. Dann ist der Junge achtzehn. Wir bringen einfach den Zauber hinter uns und holen den Kna … den Mann, damit er sein Schicksal erfüllen kann. Anschließend ist wieder alles in bester Ordnung.«
Magrat schwieg. Sie dachte daran, daß Schicksale völlig problemlos zu sein schienen, wenn man so über sie sprach, aber meistens ergaben sich Schwierigkeiten, sobald es dabei um lebende Menschen ging. Unterdessen griff Nanny Ogg erneut nach der Flasche und gab einen ordentlichen Schuß Apfelschnaps in ihre Tasse.
»Gar nicht übel«, sagte sie. »Ein bißchen Frieden und Stille für fünfzehn Jahre. Wenn ich den Zauber richtig im Gedächtnis habe, muß man vor dem ersten Hahnenschrei einmal ums Schloß fliegen.«
Oma Wetterwachs
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