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Mach mal Feuer, Kleine - Roman

Mach mal Feuer, Kleine - Roman

Titel: Mach mal Feuer, Kleine - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Smaus
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rannte um sein Leben, wie ein gehetztes Tier, er rutschte auf Erdklumpen aus, fiel immer wieder hin und rappelte sich immer wieder hoch, kein einziges Mal blieb er stehen, kein einziges Mal blickte er zurück.

|95| 8.
    Andrejko trieb sich in der Gegend um Kostelec herum, und die Welt wirkte längst nicht mehr so durchsichtig und verlockend wie von drinnen durch den Maschendraht. Nachts schreckten ihn Geräusche auf, leise Tritte, knackende Zweige, Schritte, die er näher kommen spürte. Manchmal bog der Wind die Baumkronen und duschte ihn mit eiskalten Wasserspritzern ab, so dass die Kälte ihn noch stärker umklammert hielt, am schlimmsten aber war die Angst vor dem nächsten Tag, die Angst davor, dass er erneut gefasst und zurückgeschickt werden könnte, dass ihn dort die Jungen zu Tode prügeln und die Erzieher sich freuen würden, ihn endlich los zu sein   …
    Nach ein paar Tagen konnte er die ersten nächtlichen Geräusche unterscheiden, und er hatte auch die ersten Wörter der sonderbaren Waldsprache gelernt. Nun verwechselte er das Röhren eines Hirsches nicht mehr mit Hundegebell, nachts wusste er sich so zu betten, dass ihn nicht fror und der Tau ihn nicht durchnässte, und nicht einmal der Donner eines nahenden Gewitters konnte ihn erschrecken. Nur einmal bekam er es wirklich mit der Angst zu tun, als er sein Nachtlager im Jungholz aufgeschlagen hatte und nur ein paar Schritte entfernt besoffene Jäger vorbeizogen, die auf jeden Schatten zielten und bei jedem Rascheln losballerten   … Andrejko fürchtete sich vor Jägern und Menschen überhaupt |96| stärker als vor dem nächtlichen Wald und mauserte sich allmählich zum Selbstversorger. Wie ein Bär schlug er sich den Bauch mit Brombeeren voll, pflückte sich im Garten hinter dem Forsthaus ein T-Shirt voller Äpfel oder holte sich Eier aus dem Hühnerstall, und wenn man vergessen hatte, im Eiskeller oder in der Kammer das Fenster zu schließen, nahm er von dort ein paar Gläser mit Kompott oder Marmelade mit. Nie vergaß er aber, hinter sich aufzuräumen, er rieb über die staubigen Regale, damit keine Kreise von den fehlenden Gläsern zeugten, schloss sorgfältig das Fenster und verwischte seine Fußspuren.
    Nachts war es kalt und gegen Morgen gab es schon den ersten Frost, und er trug nur die Kleidung, in der er abgehauen war, und einen ausgeleierten, viel zu weiten Pullover, den er in einem Garten von der Wäscheleine genommen hatte. Aber ein warmer und trockener Platz zum Schlafen ließ sich immer finden, in einer Futterkrippe, unter einer Fasanenschütte oder in einem Heuschober. Einmal übernachtete er auf dem Dachboden einer Scheune, die dicht neben dem letzten Haus einer Ortschaft stand; an jenem Abend regnete es heftig, und weit und breit war keine andere Schlafstätte zu finden. Doch der Hofhund witterte ihn und kläffte wütend. Vor lauter Angst, dass seine Flucht nun ein Ende haben würde, machte sich Andrejko in die Hose, aus dem Hof hörte man aber nur Schimpfworte, ein paar dumpfe Schläge und ein Wimmern, später dann das Rasseln der Kette, als sich der Hund mit eingezogenem Schwanz in seine Hütte trollte   …
    Es wurde still, und Andrejko hörte auf zu zittern, er bohrte sich in das duftende Heu hinein und stellte sich vor, das Christkind zu sein,
Devľikano čhavoro
, von der einen Seite wärmte ihn der Esel mit seinem Atem, von der anderen das Kälbchen, und Andrejko packte erneut die Sehnsucht nach |97| Jolanka, aber auch nach seiner Mama und ihrer Umarmung, alle Schätze der Welt hätte er dafür geben, wenn er sich an sie hätte schmiegen dürfen   …
    Und auf einmal tat ihm der Hund leid.
     
    Als die Tage noch kürzer und noch kälter wurden, fühlte er sich sterbensunglücklich. Nach Žižkov zurück konnte er nicht, in die Anstalt auch nicht, dort würde man ihn wieder kahl rasieren, in Einzelhaft sperren oder gleich unter der Decke totschlagen   … Ohnehin wusste er nicht mehr, in welcher Richtung Kostelec lag, und er wollte es auch nicht wissen. Aber er brauchte einen Ort, wo er sich zusammenrollen und ohne Angst einschlafen könnte, er wäre so dankbar für ein Stück Brot und einen Teller Suppe oder wenigstens eine Tasse Tee, zum Aufwärmen   …
    Als ihm einmal besonders schwer ums Herz war und seine Zähne vor Kälte nur so klapperten, schloss er die Augen und träumte von der Sonne, die die sumpfigen Feldraine trocknet, den Nebel auflöst und seine vor Kälte steifen Beine wärmt; gegen Morgen konnte er nicht

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