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Mach mal Feuer, Kleine - Roman

Mach mal Feuer, Kleine - Roman

Titel: Mach mal Feuer, Kleine - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Smaus
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Vogel kehrte er zurück in sein Nest.
    Als sie Kysak verließen und er im Gang über Taschen, Rucksäcke und schlafende Reisende kletterte, bemerkte er den zweiten Schaffner nicht. Der packte Andrejko am Kragen, streckte die Hand aus und wollte seine Fahrkarte sehen. Andrejko erstarrte, ihm war, als hätte man einen Eimer eiskaltes Wasser über ihn gekippt, er zeigte nach vorne und stotterte, D-d-dort, b-b-bei der M-m-mama   …
    Dort vorne, da sei seine Mama, sie habe die Fahrkarte, zeigte er in den Gang und fing an zu weinen. Der Schaffner ließ ihn los, er würde ihn schon noch finden   … Noch lange nachdem der Zug in Košice eingetroffen war, suchte Andrejko auf dem Bahnsteig nach seiner Mama, denn jetzt glaubte auch er, dass sie mitgefahren war, dass sie hier auf ihn wartete   …
     
    In Stakčín stieg er aus dem Triebwagen, das war der letzte Zug seiner langen Reise, weiter führten die Gleise nicht. Für eine Busfahrkarte hatte er kein Geld, also ging er zu Fuß weiter, die Straße folgte einem kleinen Fluss, schlängelte sich dann durch Buchenhänge hinauf zu Wiesen mit Birkenhainen und vereinzelten Kirschbäumen, zu schmalen Feldern und staubigen, von Hagebutten und Ebereschen gesäumten Wegen, alles duftete, leuchtete golden und strahlte Wärme aus, aber der erschöpfte Andrejko vermochte sich kaum noch auf den Beinen zu halten. Abends tauchten die ersten Häuser von Poljana auf, Andrejko blieb dicht am Waldrand und hielt Ausschau nach der Siedlung, nach den Hütten und Bretterbuden, die man schon von Weitem am Rauch, Kindergeschrei |101| und manchmal auch an schluchzenden Geigenklängen erkennen konnte   …
    Jäh fand er sich inmitten von schwarzen, morschen Brettern und rostigen Blechplatten wieder, sie waren von Melde, Brennnesseln und den dornigen Schlingen der Brombeeren überwuchert, ratlos blickte er sich um, er wollte nicht glauben, dass seine Reise ausgerechnet hier enden sollte, dann setzte er sich auf den Boden und fing bitterlich zu weinen an. Er hatte keine Kraft mehr weiterzugehen, er war hundemüde, es gab hier aber kein Dach, unter dem er hätte Unterschlupf finden können, es gab keinen Menschen, der für ihn, Andrejko, etwas empfand, es gab keine Mama. Sein Nest lag in Trümmern und Asche, und die Hoffnung, das verlockende Licht, das er vor ein paar Wochen über dem schlammigen Feld hinter dem Anstaltszaun hatte aufleuchten sehen und das später an jener Haltestelle mitten auf einem riesigen Acker erstrahlt war, dieses Licht verlosch allmählich.
    Als es dunkel wurde, rollte er sich in der nächstbesten Mulde zusammen, zog sich den Pullover über die Knie und schlief ein.
    Und er träumte von seiner Reise, von dieser langen und vergeblichen Reise, er hörte noch immer das Dröhnen der Räder, das seinem stotternden Herzschlag so sehr glich oder dem unregelmäßigen Hufschlag eines verletzten Pferdes   …

|102| 9.
    Der Morgentau und das Blöken der Schafe weckten ihn. Der alte Bielčik trieb seine Herde auf die Weide. Sein Hund nahm Andrejkos Witterung auf und preschte los, die Schnauze dicht am Boden, und als er ihn fand, bellte er ihn wütend an. Juraj Bielčik griff nach seinem Stock und folgte dem Gebell, eine verlaufene Katze oder ein Fuchs, mutmaßte er, vielleicht sogar ein junger Wolf, das würde ihn teuer zu stehen kommen, dachte er und wog den Stock in der Hand   … Er wollte schon zum Schlag ausholen, als er den kleinen Jungen in den Brennnesseln entdeckte, zusammengerollt, beide Hände vor dem Kopf, wie er sich vor dem angreifenden Hund zu schützen versuchte, ein abgemagerter und schmuddeliger Junge.
    Heilige Mária, rutschte es Bielčik heraus, und er hielt in der Bewegung inne. Um Gottes willen   … Als er den Hund weggeschickt hatte, blickte Andrejko zu ihm auf, er lag immer noch zusammengekauert in Erwartung des furchtbaren Hiebs   … Sie sahen sich eine Weile an und wussten nicht, was sie sagen sollten, der alte
bača
, der Schafhirte in seinem langen, abgewetzten Pelzmantel, mit einem von Sonne und Wind gegerbten, von tiefen Falten zerfurchten Gesicht, und der vor Angst und Kälte schlotternde Zigeunerjunge in seinem ausgeleierten Pullover, nass und dreckig.
    |103| Juraj Bielčik sah in Andrejkos schwarzen Augen Angst und Hoffnungslosigkeit, er sah seinen Pullover, der ihm die Knie bedeckte, seine schmutzige und zerrissene Hose, sein von Dreck und Tränen verschmiertes Gesicht, und er fand in sich keine Kraft, dieses Kind wegzujagen oder ihm gar noch mit

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