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Mach mal Feuer, Kleine - Roman

Mach mal Feuer, Kleine - Roman

Titel: Mach mal Feuer, Kleine - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Smaus
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Der wohnte zwar nicht mehr zu Hause, aber wenn man ihn in der Schenke aufstachelte, er solle mal nachsehen, wer jetzt in seinem Bett schlafe, lief er vor Wut rot an, so dass eine Ader auf seiner Stirn anschwoll, und er presste zwischen den Zähnen hervor: So’n alter Kerl   – und Verstand immer noch keinen   … und über Andrejko murmelte er: Den haben wohl die Zugvögel über Poljana rausgekackt.
    Andrejko war froh, ein Dach über dem Kopf und etwas zu essen zu haben, aber er fühlte sich unter den Poljanern nicht wohl, er verstand ihren weichen Zungenschlag nicht, er vermisste den Lärm von Žižkov, Jolankas Wärme unter der Bettdecke und die großen Kinderaugen, wenn er Schokolade und Süßigkeiten verteilte. Aber nach Prag zurück konnte er nicht.
    Die Tage waren schon ganz kurz, und als das Dorf unter einer Schneedecke verschwand, wurde Juraj klar, dass Andrejko den Winter über bleiben würde. Als er hörte, dass er in Prag gar nicht zur Schule gegangen war, kratzte er sich hinterm Ohr und beschloss, ihm das Lesen beizubringen, obwohl er selbst seine liebe Not damit hatte. Gemeinsam sagten sie also den Buchstaben und Silben den Kampf an, bald wagten sie sich auch an die Zeitung, den Almanach und das Gesangbuch, dort schlugen sie sich mit Wörtern und ganzen Sätzen herum und gerieten dabei manchmal sogar ins Plaudern, auf Tschechisch oder Slowakisch, und wenn das Gespräch stockte, behalfen sie sich mit den Händen.
     
    |109| Eines Abends brachte Juraj aus der Schenke eine verstimmte Geige mit. Er drückte sie Andrejko in die Hand, sagte, Zigeuner müssen spielen, und ließ sich aufs Bett fallen, nicht einmal die Stiefel zog er aus, mit schwerer Zunge murmelte er noch: Vollgefressne Sau suhlt sich im Schlamm, und schlief ein. Am nächsten Tag lief er im Zimmer auf und ab, er jammerte: Willst du dir keine Prügel einhandeln, musst du dem Wirtshaus fernbleiben, und als er den schmerzenden Kopf unter kaltes Wasser hielt, fiel ihm sein nächtliches Geschenk wieder ein, und er erzählte Andrejko, wie die Dunkas einst mit ihren abgemagerten Pferden und Planwagen ins Dorf gezogen kamen und wie sie rissige Kessel flicken, Pferde beschlagen und kaputte Tontöpfe ausbessern konnten. Aber das wahre Leben der Dunkas, sagte er, das sei der heißblütige und feurige Csardas gewesen, Tanzen und Singen, ihre rauen Stimmen und Röcke, die bis zur Taille hochwirbelten, ihre Hände, die über dem Kopf flogen, und ihre riesigen, pechschwarzen Augen, die eine kindliche, sorglose Freude und den Kummer längst vergangener Zeiten widerspiegelten, ein Hophophop jagte das nächste, ein schrilles Jajajaj schoss gellend durch die Luft, den unregelmäßigen Rhythmus klatschten sie mit den Händen, ta tadada ta ta ta, ta tadada ta ta ta   – was Juraj mit Worten nicht beschreiben konnte, das trommelte er auf die Tischplatte. Von Noten hatten sie keine Ahnung, aber sobald eine Frau zu singen und zu tanzen anfing, blühte sie auf und wurde schön, ob jung oder alt, dick oder dünn, bis sie einen verhext und ihm das Herz gebrochen hatte, sagte Juraj verträumt   …
    Zu jenen Zeiten reichte es, wenn der alte Marián Dunka mit seinem silberdurchwirkten Haar mit dem Geigenbogen auf den Tisch klopfte, und schon waren alle ruhig, er zog die dicken Augenbrauen hoch, ging leicht in die Knie, und die Männer spielten los, zuerst slowakische und ruthenische Lieder: |110|
Divočko moloda, kvitneš jak jahode, ta už tvoje ličko, ljubiti ne škoda
, Mein Mädchen, du blühst so schön, wie Erdbeeren sind deine Wangen, Liebe ist keine Schande   …, aber sobald die Musiker und die Gäste in Schwung kamen, verlangten alle nur noch nach dem Csardas, und der wurde immer schneller und immer wilder, der hinuntergekippte Schnaps ließ einen das Leben immer intensiver spüren, die Stimmen der Sänger vereinten sich und trennten sich gleich wieder, wie Wasser in einem reißenden Bach, sie drängten zum Himmel hinauf und fielen wieder herab, Unmengen von Schnaps flossen durch die durstigen Kehlen, wie gefällte Bäume kippten die Poljaner einer nach dem anderen um, während von den geschundenen Fingern der Musiker das Blut spritzte und gerissene Rosshaare um die Bögen flatterten. Gegen Morgen zogen sich die Zigeuner zurück und stimmten ihre lang gezogenen und sehnsuchtsvollen Halgato an, nur noch für sich selbst:
G adžeske bašavav andro kan, Romeske andro jilo
, den Gadsche spiele ich für die Ohren, den Unsrigen für die Seele   …

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