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Mach mal Feuer, Kleine - Roman

Mach mal Feuer, Kleine - Roman

Titel: Mach mal Feuer, Kleine - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Smaus
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nicht weiterleben könne. Aber der Schmerz ließ sich durch das Schreiben nicht vertreiben, und bald endeten die Sätze tränenverschmiert.
     
    Eines Abends knöpften sie sich Andrejko zu dritt vor. Alle waren sie einen Kopf größer, und bis auf einen, den Andrejko manchmal auf der Straße oder vor dem Kino traf, kannte er sie nicht. Finger weg von ihr, du verlauste Zigeunerfresse, sagte der Größte ruhig, während sie ihn gegen die Wand drückten   … Wenn wir dich noch einmal erwischen, dann brechen wir dir die Beine, dann kannste das Laufen vergessen, kapiert? Einer schob ihm die Faust mit einer brennenden |182| Zigarette darin unter die Nase. Andrejko drehte den Kopf zur Seite und schwieg. Was sollte man auch sagen, wenn man von zweien festgehalten wurde und nicht wegrennen konnte   … Oder müssen wir noch deutlicher werden?, hörte er von oben, und schon spürte er den ersten Schlag   … Wie aus weiter Ferne hörte er dann noch: So ein Weichei   … ich glaube, der hat genug, Mann   … und ihm wurde schwarz vor Augen. Als er wieder zu sich kam und versuchte, sich hochzurappeln, waren die drei nicht mehr da. Mühsam schleppte er sich nach Hause, stieg langsam die Treppe hoch, er fühlte sich schlecht, sein Kopf barst vor Schmerz, und noch im Flur musste er sich übergeben. In der Küchentür brach er zusammen und fiel schwer wie ein Sack Kartoffeln zu Boden. Als Anetka versuchte, ihm auf die Beine zu helfen, weinte sie laut. Vielleicht hätte ich nur schreien müssen, dachte er, als er sich über das Waschbecken beugte und kaltes Wasser über seinen schmerzenden Kopf laufen ließ, vielleicht wären die Nachbarn gekommen und hätten mich verteidigt   … aber vielleicht auch nicht   …
    Abends setzte sich die Tante zu ihm ans Bett wie zu einem kranken Kind, schweigend wechselte sie ihm die Verbände, stellte weder Fragen noch las sie ihm die Leviten, sie betrachtete bloß immer wieder seine Handflächen und seufzte tief.
    Marketa störten seine blauen Flecken nicht, es schmeichelte ihr, dass Andrejko ihretwegen Beulen und Prellungen davontrug.
    Andrejko aber versuchte seitdem, die Stadt zu meiden, sie gingen an der Radbuza und der Úslava spazieren oder an der Berounka, jeder breitere Baum, jede Ecke und Durchfahrt jagten ihm Angst ein, bei jedem Geräusch drehte er sich um, und Marketa musste über ihn lachen   … wenn er abends nach Hause ging, zitterte seine Seele wie ein verschrecktes |183| Tierchen in der Käfigecke. Manchmal sah er, wie sich Schatten von den Nachbarhäusern lösten, aber vielleicht bildete er sich das auch nur ein, es passierte nie was, und dabei war in Petrohrad nach Einbruch der Dunkelheit allerhand los, manchmal war es sogar besser, nicht hinzusehen und nicht hinzuhören   …
    Marketa, seine Sonne, war eine
rakľori
, ein weißes Mädchen, sie kam von der anderen Seite, vom gegenüberliegenden Ufer, und diese Grenze hatte er überschritten und war dafür verprügelt worden. Er wusste nicht, was ihn nun erwartete. Aber es ging nicht mehr bloß um Eier aus dem Hühnerstall oder geklaute Geldbörsen oder Autoradios, hier war seine Marketa im Spiel, diesmal ging es um sein eigenes Leben   … Eines Tages steckte er sich ein Küchenmesser in den Hosenbund, und als er sich neben Marketa setzte und die Schneide den Stoff aufratschte, lachte Marketa schallend auf   …
    Ihm war nicht nach Lachen zumute. Binnen weniger Tage hatte er das letzte Kleingeld aus seinen Taschen gekratzt, um Eis und Kinokarten bezahlen zu können, neben Marketa wirkte er wie ein armer Junge, und er schämte sich, er schämte sich seiner selbst, er schämte sich für Tante Ida und für ihr Haus mit dem bröckelnden Putz, den herausgeschlagenen Kellerfenstern und den kaputten Glühbirnen im Treppenhaus, wegen Marketa begann er, die dreckigen Straßen von Petrohrad und seinen Schulabschluss zu hassen. Denn mit seinem Zeugnis konnte er Marketa nicht beeindrucken, er brauchte etwas anderes, etwas, was die anderen schon längst hatten: neue Jeans, ein Motorrad, Geld   … Einmal erzählte Marketa, dass sie im Winter Ski fahre, da seien auch Jungs dabei, und Andrejko biss sich auf die Unterlippe. Im vergangenen Winter war seine Klasse für eine Woche in die Berge |184| gefahren, er aber hatte sich krankschreiben lassen müssen, und trotzdem hatten ihn alle ausgelacht, weil er nicht mal Skier zu Hause hatte.
    Allmählich begriff er, dass man ihn in der Schule belogen hatte, als man ihm Physik und

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