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Mach mal Feuer, Kleine - Roman

Mach mal Feuer, Kleine - Roman

Titel: Mach mal Feuer, Kleine - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Smaus
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Alles war zum Greifen nah und zugleich ganz weit weg. Andrejko zitterte vor Wut. Die waren das, die Poljaner, die hatten sie vertrieben, dafür müsste man ihnen das Heu anzünden, die Fensterscheiben einschlagen oder wenigstens die Einfriedungen aufbrechen und ihre Schafe in den Wald scheuchen, aber die Poljaner würden sich ihre Stöcke schnappen, sich auf die Jagd begeben und sie zu fassen bekommen wie entlaufene Kaninchen, und was dann folgen würde, das hatte Andrejko |238| schon häufig gehört, es hatte sich ihm tief eingeprägt   … Er blickte über die Schulter zu den anderen Heuhaufen: Anetka und Tibor schliefen noch. Andrejko sprang auf und streckte sich, schüttelte sich die Halme aus den Haaren und lief quer über die Wiese zum Wald, dort schlängelte er sich durch die Himbeersträucher und das junge Erlengehölz und setzte über einen kleinen Bach: Da war auch schon der vertraute Birkenhain und dahinter die Reste der Siedlung, mehrere Haufen verrostetes, mit Brennnesseln überwuchertes Zeug, der Ort, an dem ihn an einem Morgen im Herbst Bielčiks Hund aufgestöbert hatte.
    Damals hatte Juraj ihn, den kleinen Zigeunerjungen, nicht verjagt, aber jetzt lag er auf der anderen Seite des Tales, unter einem Kreuz aus massivem Eichenholz   … Eines Tages hatte er ihm eingeschärft, das Holz immer in Ehren zu halten: Aus Holz werde die Wiege gemacht, hatte er gesagt, der Tisch, die Stühle und das Bett, und im Winter spende es Wärme, gleich zweimal sogar, einmal beim Hacken und wenn es im Ofen brenne, und zu guter Letzt werde aus Holz der Sarg geschnitzt und das Kreuz   … Sicherlich hatte man an seines eine kleine Tafel genagelt, auf der stand: Hier liegt Juraj Bielčik, er hat keine Schulden hinterlassen und ist friedlich von uns gegangen. Denn jeder Gadsche, auch der ärmste, bekam wenigstens eine Tafel mit seinem Namen   … Nur für seine Mama hatte es keine Tafel gegeben. Als sie ihren letzten Atemzug getan hatte, da waren die Dunkas schon mit einem Bein unterwegs und hatten sie schnell in der äußersten Friedhofsecke verscharrt, so dass Juraj, als er ihm ihr Grab zeigen wollte, es nicht finden konnte   …
    Die Stelle, an der einst die Siedlung gestanden hatte, war mit jungen Erlen, Birken, Brennnesseln und Disteln zugewachsen. Andrejko bahnte sich einen Weg durch Haufen |239| von Schutt und Steinen, wich unebenen Stellen und großen, rostigen Blechplatten aus, hob Steine hoch, in der Hoffnung, etwas zu finden, das ihnen helfen könnte. Schon wollte er zur Wiese zurückkehren, als er in einer Vertiefung einen kleinen Hohlraum entdeckte. Von außen sah er wie ein Erdloch aus, aber drinnen ertastete er unter einer Schicht von Zweigen und altem Laub trockenen Boden aus festgestampftem Lehm.
    Noch am selben Tag machten sie das Loch sauber, legten es mit Heu aus, und abends, als es dunkel wurde, entfachten sie draußen ein Feuer, sie legten abgebrochene Zweige und Äste hinein und ihre Augen glänzten. Jetzt kehrten sie in die alten Zeiten zurück, in die Zeiten der Feuer, Pferde und Planwagen, nach so vielen Jahren auf dem harten Straßenpflaster der Stadt spürten sie unter ihren Füßen die weiche Erde, und das Heu duftete wie früher, als es in den Hütten noch keine Betten oder Matratzen gegeben hatte. Damals pflegten die Dunkas auf dem Boden zu schlafen, und Heu und Stroh wurden jeden Morgen in eine Ecke geschoben   … Weit weg waren die Hunde und die metallbeschlagenen Stöcke der düster dreinblickenden Poljaner, vergessen waren die Knastbrüder vom Prager Hauptbahnhof und die stickige Petrohrader Wohnung mit Marián, Imro und der ständig betrunkenen Tante. Weit weg war auch das Tschechische, mit dem sie so lange gekämpft hatten. Ganz von selbst kehrten sie zu ihrer Muttersprache, dem alten Romani, zurück, denn jetzt gab es nur noch sie drei auf der Welt, sie waren die letzten Menschen, außer ihnen gab es nur noch die duftende und warme Erde unter ihren Füßen, ihre Heimat. Unter diesem pechschwarzen Himmel mit seinem Zuckerguss aus leuchtenden Sternen, am lodernden Feuer, das ihnen Wärme und Hoffnung einflößte, konnten sie keine andere Sprache benutzen als das alte und halb vergessene Romani   …

|240| 19.
    Am nächsten Tag durchstöberten sie die überwucherten Ruinen und erkundeten den Wald oberhalb der Siedlung. Sie schleppten alles heran, was sich möglicherweise gebrauchen ließ. Sie besserten das Dach mit rostigem Blech und alten Düngersäcken aus, legten einen Vorrat an

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