Mach mich nicht an
meiner Dankbarkeit geschworen, alles zu tun, um ihn auf seinem Weg zum Erfolg zu unterstützen.«
»Sein Erfolg war ja auch Ihr Erfolg«, stellte Annabelle fest. Es lag ohnehin auf der Hand.
»Genau. Mit Theodore bekam ich Ansehen, ein anständiges Dach über dem Kopf und einen ebenso anständigen Mann; kurz, alles, was mir als Kind verwehrt geblieben war.«
Von einer liebevollen Familie oder einem wunderbaren Sohn war in Estelles kleiner Ansprache nicht die Rede, wie Annabelle auffiel, doch sie enthielt sich jeglichen Kommentars.
»Dann kam Brandon zur Welt. Er war ein so süßer kleiner Junge.« Bei der Erinnerung daran leuchtete die Liebe in ihren Augen auf.
»Bis er in die Schule kam, nicht wahr?«
Estelle errötete und hatte wenigstens den Anstand, eine beschämte Miene aufzusetzen. »Ich wusste nichts über Dyslexie oder sonstige Lernschwächen und die Lehrer meinten nur, er könne nicht stillsitzen. Je älter er wurde, desto schlechtere Noten brachte er nach Hause...«
»... und enttäuschte damit seinen Vater.« Annabelle kämpfte plötzlich gegen eine Welle der Übelkeit an und schob ihr pappsüßes Getränk zur Seite.
Estelle ließ den Kopf hängen. »Theodore hat Brandon nie verstanden. Er war eben ein richtiger Akademiker, sein Sohn dagegen ein Sportler, wie er im Buche steht. Sie hatten einfach keinen Draht zueinander.«
»Hat er sich denn überhaupt die Mühe gemacht, Brandon zu verstehen? Haben Sie jemals versucht, zwischen Vater und Sohn zu vermitteln?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich hatte mich schon lange davor auf die andere Seite geschlagen. Ich war die treusorgende Ehefrau, die stets hinter Theodore stand. Die Mutterschaft kam für mich immer an zweiter Stelle - in dieser Funktion habe ich versagt.«
Sie senkte die Stimme auf ein Flüstern. Ihr chronischer Hochmut hatte sich in Luft aufgelöst.
Annabelle streckte spontan den Arm aus und berührte Estelle an der Hand. »Es steht mir nicht zu, über die Vergangenheit zu urteilen, aber mir scheint, Ihre Einstellung hat sich geändert. Wagen Sie einen Versuch, die Beziehung zu ihrem Sohn zu kitten; vielleicht ist es ja noch nicht zu spät.«
Vaughn konnte weiß Gott nur davon profitieren, wenn seine Mutter auch nur den kleinsten Schritt unternahm, um ein normales Verhältnis zu ihm anzustreben; wenn ihm wenigstens ein Elternteil Anerkennung entgegenbrachte. Natürlich würde er sich nicht sofort von Grund auf ändern und offener werden. Die wirklich wichtigen Dinge im Leben brauchten eben ihre Zeit.
»Das versuche ich ja, aber er verschließt sich immer wieder vor mir.«
»Es geht mich natürlich nichts an, aber haben Sie je daran gedacht, ihn einfach so zu akzeptieren, wie er ist? Daran, seine Lebensziele zu respektieren?«
Estelle lehnte sich einen Augenblick nachdenklich zurück, dann seufzte sie. »Sie sind ein kluges Mädchen, Annabelle. Ich hoffe, mein Sohn weiß, was er an Ihnen hat.«
Annabelle murmelte einen Dank und beschloss, auf diese Aussage nicht näher einzugehen. Ihre Probleme mit Vaughn konnten durch eine einfache Unterhaltung nicht gelöst werden.
Während Estelle sich erhob und zum Gehen anschickte, nahm Annabelle den Plastikdeckel von ihrem Becher, ließ Boris den Schaum von ihrem Getränk lecken und machte sich ebenfalls zum Aufbruch bereit. Da ging die Tür auf und Roy trat ein, gefolgt von den anderen Bauarbeitern von Vaughns Gästehaus, die hier wie üblich ihre Kaffeepause verbrachten.
Bei Annabelle schrillten plötzlich die Alarmglocken. »Er war nicht auf der Party«, stellte sie fest.
»Wie bitte?« Estelle wandte sich noch einmal zu ihr um.
»Ach, nichts. Mir fiel nur gerade auf, dass Roy nicht zu der Party unserer Firma nach New York gekommen ist.« Sie erläuterte kurz, weshalb sie Vaughns Angestellte eingeladen hatte. Estelle schien beeindruckt von der Strategie, die dahintersteckte.
»Begleiten Sie mich noch hinaus?«, fragte sie.
Annabelle schüttelte den Kopf. »Ich möchte noch ein wenig mit Joanne tratschen, während Boris meinen Drink fertig schlürft.«
»Nun, ich freue mich sehr, dass wir Gelegenheit hatten, uns zu unterhalten. Und ich weiß Ihre Offenheit zu schätzen, junge Dame.«
Und schon war sie auf und davon.
Annabelle sah ihr nach und tätschelte Boris den Kopf. »Es geschehen noch Zeichen und Wunder«, stellte sie fest. Wer hätte gedacht, dass Estelle jemals zur Einsicht kommen würde! Blieb nur zu hoffen, dass Vaughn ihrem Beispiel irgendwann folgte.
Sie versuchte, sich
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