Mach mich nicht an
Fans bedeuten würde, die ähnliche Probleme haben.«
»Vergiss es. Ich werde damit ganz sicher nicht hausieren gehen.« Er unterstrich das Gesagte mit einer heftigen Handbewegung.
Sie schob die Cornflakes zur Seite und schürzte die Lippen, als hoffte sie, er könne ihrem Schmollmund keinen Wunsch abschlagen. »Denk doch mal an all die Schüler, denen es zu peinlich ist, ihre Leseschwäche zuzugeben und die deshalb dann durch die Finger schauen.« Ihre Stimme klang eindringlich.
»Denk du doch mal an die Auswirkungen, die es für diese Kinder haben kann, wenn sie ihren Eltern gestehen, dass sie nicht lernen können wie ihre Schulkollegen.«
»Ist es etwa besser, wenn sie sich stillschweigend damit herumquälen?«, erwiderte sie frustriert.
»Es ist auf jeden Fall besser, so zu tun, als würde man die Schule hassen, als für einen Dummkopf gehalten und ausgelacht zu werden.«
»Wozu organisierst du dieses Camp dann überhaupt, wenn du fürchtest, die Jugendlichen könnten durch die Teilnahme daran stigmatisiert werden?«
Er stützte die Ellbogen auf und lehnte sich über den Tisch. »Das Camp steht jedem Kind offen, das mit irgendwelchen Schwierigkeiten zu kämpfen hat, sei es nun eine Leseschwäche oder sonst ein Problem. Ich biete ihnen eine Möglichkeit, die gleichen Erfolge zu erringen wie andere Kinder.«
»Ah ja. Chancengleichheit für jugendliche Straftäter und behinderte Kinder gleichermaßen, wie?« Sie schüttelte den Kopf. »Das ist doch Quatsch. Du unterstellst automatisch, alle Eltern würden auf eine Leseschwäche oder sonstige Behinderung so reagieren wie die deinen. Was schlägst du vor - derartige Probleme gar nicht erst zu diagnostizieren, sondern totzuschweigen?«
»Keineswegs. Ich bin lediglich dagegen, das Thema zwanghaft anzusprechen. Mein Ziel ist es, Kindern ganz unabhängig von ihren Problemen oder Schwächen einen Rahmen zu bieten, in dem sie lernen können, ohne ständig für ihre Leistungen beurteilt zu werden.«
Sie verdrehte die Augen und schob die Schale mit den Cornflakes von sich.
»Das klingt wirklich sehr überzeugend. Wahrscheinlich glaubst du diesen Mist auch noch selbst. Kann es sein, dass du vor irgendetwas davonläufst? Abgesehen von deinen Eltern und ihrer Reaktion, meine ich?« Sie erhob sich und baute sich vor ihm auf, das Gesicht nur Zentimeter von seinem entfernt. »Wer hat dich noch verletzt, Vaughn? War es deine Exfrau? Ist das der Grund, weshalb du sie noch nicht zurückgerufen hast?«
Er kniff die Augen zusammen. Unfassbar, wie frech, frustrierend und furchtlos sie sich verhielt. Was sie sich herausnahm. Sie konnte ihn schier zur Weißglut bringen - und machte ihn zugleich unheimlich scharf. »Da muss ich dich korrigieren. Ich habe sie eben zurückgerufen.«
»O...«
»Sie will sich Geld von mir leihen.«
Annabelle blinzelte. »Aha. Und, hatte ich Recht?«, fragte sie leise. »War es Laura, die dich so verletzt hat, dass du dich vor anderen verschließt?«
Er tat es verärgert ab. »Du hast doch keine Ahnung, was du da sagst«. In seinem tiefsten Innersten jedoch wusste er, dass es stimmte. Er wusste, dass sie ihn wieder einmal durchschaut hatte und nur allzu gut verstand.
Aber so sehr er sich auch wünschte, Kindern zu helfen, die wie er eine Leseschwäche hatten - er scheute davor zurück, sich öffentlich dazu zu bekennen, dass er Dyslektiker war, aus Angst, abgelehnt zu werden. Vaughn hatte zwar gelernt, mit seinem Handicap umzugehen, doch die seelischen Narben würden ihn sein Leben lang begleiten.
Annabelle brach das Schweigen. »Okay, ich werde dich zu nichts zwingen, aber ich möchte, dass du es dir überlegst.« Ihre Lippen waren so nah, dass er ihren Geschmack erahnen konnte.
Als er ihr das letzte Mal versprochen hatte, sich etwas zu überlegen , war er ohne es zu wollen mit seinem größten Geheimnis herausgerückt. Es stand zu befürchten, dass Annabelle ihn noch dazu brachte, seinen Makel in der Öffentlichkeit preiszugeben und sich zum Gespött der Leute zu machen. Daher verkniff er sich eine Antwort und senkte lediglich den Kopf.
Sie grinste. »Das interpretiere ich als ein Ja. So, und jetzt küss mich.«
Er blinzelte überrascht, wenn auch alles andere als abgeneigt. »Das hilft uns aber auch nicht weiter«, wandte er ein.
»Das vielleicht nicht, aber es tut mit Sicherheit gut.«
Er lachte, und die Anspannung fiel von ihm ab. Erstaunlich, wie sie es immer wieder schaffte, ihn zu besänftigen, seine Laune zu heben.
Dummerweise
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