Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)
sind Feinde Roms und seines Ruhmes.»[ 59 ]
Machiavelli konnte vieles vergeben, doch üble Nachrede über sein geliebtes Rom war unverzeihlich. Die Schlussfolgerung, die ein verantwortungsbewusster Politiker aus diesem bitterbösen Kurztext ziehen musste, lautete wie gehabt: Löst Florenz aus der Allianz mit diesem König und diesem Volk!
Ganz andere Töne schlug Machiavelli in seinem ersten Decennale an, einer gereimten «Zehnjahresgeschichte», die er am 8. November 1504 mit einer pompösen Widmung an Alamanno Salviati versah. Dieses Datum war symbolkräftig: Am 8. November 1494 hatte Piero de’ Medici die Herrschaft über Florenz verspielt. Alamanno Salviati aber – so Machiavelli in seiner schmeichelhaften Zueignung – hatte Florenz während des Aufstands von Arezzo durch seine Standhaftigkeit gerettet. In erhabenem Stil ist auch der Großteil des Gedichts gehalten, das in 550 Verszeilen die italienische Geschichte der letzten zehn Jahre aus florentinischer Perspektive erzählt und deutet. Machiavelli hielt sich, wie spätere Zeugnisse belegen, für einen großen Dichter in der Nachfolge Dantes und auf gleicher Augenhöhe mit einem Ludovico Ariosto. Von dieser Begabung sollte ganz Florenz wissen. So schickte der Verfasser sein Poem an einflussreiche Persönlichkeiten, die ihn dafür auch ausdrücklich lobten.
Sie wussten, warum. Im ersten Decennale legte Machiavelli, der stadtbekannte Spötter, eine ausgesprochen staatstragende Gesinnung an den Tag. Ja, sein Geschichtsepos strotzte geradezu von patriotischen Gemeinplätzen. Der Unstern Italiens zusammen mit der Uneinigkeit der italienischen Machthaber lockte 1494 die Franzosen ins Land, womit das Unglück des Landes begann. Die Medici verrieten im Moment der höchsten Gefahr Florenz, das sie sechzig Jahre lang unterjocht hatten, doch blühte die Republik unter dem governo largo wieder auf. Fortuna aber stellte sich aus purer Missgunst der Rückeroberung Pisas entgegen, so dass alle heroischen Anstrengungen der Florentiner nichts fruchteten. Zudem versetzte Cesare Borgia die Toskana in Angst und Schrecken, doch bot ihm der tapfere Alamanno Salviati bei Arezzo die Stirn. Bald darauf war der Untergang des Duca Valentino besiegelt:
Als Alexander VI. vom Himmel getötet wurde,
wurde auch der Staat des Herzogs von Valence
in viele Teile zerbrochen und verteilt.
Julius allein nährte noch Borgias Hoffnungen,
so dass der Herzog in ihm zu finden glaubte
das Mitleid, das er selbst mit niemandem hatte.[ 60 ]
Dieses Mitleid hatte er auch nicht verdient. 35 Verszeilen weiter ließ ihn Machiavelli das Schicksal ereilen, «das ein Rebell gegen Christus verdiente».
War der Chef der Zweiten Kanzlei wirklich so fromm geworden? Weitere Wendungen lassen begründete Zweifel an einer solchen Bekehrung aufkommen. So wird Julius II. als Paradies-Pförtner bezeichnet – ausgerechnet der Papst, der seinen ganzen Pontifikat hindurch unablässig Krieg führte. Beißende Ironie bricht ebenfalls durch, als Machiavelli das Ende Alexanders VI. schildert:
Cesare Borgia wurde krank. Und um ihm Ruhe zu schenken,
wurde zu den seligen Seelen getragen
der Geist Alexanders, des Ruhmreichen.[ 61 ]
Trotz des christlichen Verdammungsurteils, das Machiavelli am Ende über Cesare Borgia verhängt, tritt dieser in der gereimten «Zehnjahresgeschichte» als vollendeter Fürst hervor, dessen List die Gegenspieler nicht gewachsen sind:
Und er verlor keine Zeit, um sie in die Falle zu locken:
den Verräter von Fermo und Vitellozzo
und die Orsini, die ihm so feindlich gesonnen waren.
Und so gerieten sie in seinen Hinterhalt,
wo der Bär mehr als eine Pfote verlor
und dem Kalb das zweite Horn abgeschlagen wurde.[ 62 ]
Über dieses Wortspiel durften die Florentiner herzlich lachen: Der Bär, italienisch orso, das waren die Orsini, Vitellozzo Vitelli war vitello, das Kalb, dem die Republik mit der Hinrichtung von Paolo Vitelli das erste Horn abgeschlagen hatten. In der «Zehnjahresgeschichte» wird Florenz zwar wegen seiner chronischen Entschlussschwäche und seiner Abhängigkeit von Frankreich kritisiert, doch tritt die Tatkraft der Helden vor diesem Hintergrund der allgemeinen Zögerlichkeit und Schwäche umso strahlender hervor: Die Republik ermannt sich, wählt einen gonfaloniere auf Lebenszeit und findet schließlich in Salviati ihren Retter vor den Ränken Cesare Borgias. Doch sicher durfte sie sich auch nach dessen Sturz nicht fühlen:
Noch ist das launische Glück nicht zufrieden,
und
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