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Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)

Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)

Titel: Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Reinhardt
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Kein Angehöriger der Bildungselite hätte jemals vor Zeugen solche Worte gebraucht. Die Humanisten reden Hässliches im Dienst der Mächtigen schön: Bei dieser Kritik dürfte Machiavelli an den Ersten Kanzler von Florenz, seinen Vorgesetzten Marcello Virgilio Adriani, gedacht haben. Der Mensch war ein instinktgetriebenes Naturwesen: Wer das nicht sah und am eigenen Leibe erfuhr, irrte sich auch politisch.
    Aus ähnlichen Gründen hatte sich laut Machiavelli Venedig politisch verirrt:
Man hört, dass die Venezianer in allen Orten, die sie zurückgewinnen, einen heiligen Markus malen lassen, der statt des Buches ein Schwert in der Hand hält. So haben sie offenbar auf eigene Kosten gelernt, dass Bücher und Studien nicht ausreichen, um einen Staat zu regieren.[ 90 ]
    Dieser sarkastische Satz steht in einem Brief, den Machiavelli am 7. Dezember 1509, also einen Tag vor dem sexuellen «Höhlenabenteuer», an seine Vorgesetzten in Florenz schrieb. Die humanistischen Hoffnungen, dass bessere Bildung mehr Sittlichkeit hervorbringe und eine bessere Moral einen besseren Staat zur Folge habe, waren für Machiavelli in diesen rauen Zeiten als Illusionen widerlegt. Doch das bedeutete nicht, dass alle Bücher für die Politik überflüssig waren. Wenn man es geschickt anstellte, konnte man aus den richtigen Texten die politischen Erfolgsregeln für die Gegenwart ableiten. Das hatte Machiavelli seiner Selbsteinschätzung nach in seinen Gesandtschaftsberichten und Denkschriften getan. Die Voraussetzung dafür, diese Rezepte in der Gegenwart nutzbringend anzuwenden, aber war, den Menschen so zu erkennen, wie er wirklich war. Auch damit hatte Machiavelli in Verona einen Anfang gemacht.

III. DIE KUNST DES ÜBERLEBENS 1510–1513

    Zwischen Frankreich und dem Papst
    Anfang 1510 kehrte Machiavelli nach Florenz zurück. Die Republik schien zu diesem Zeitpunkt für alle diplomatischen und militärischen Eventualitäten gerüstet zu sein. Sie hatte kurz zuvor Pisa zurückerobert, mit dem Papst gedeihliche Beziehungen geknüpft, dem Kaiser gegeben, was des Kaisers war, und in Frankreich einen starken Beschützer gefunden. Doch der Schein trog. Schon wenige Monate später wurde klar, dass Florenz zwischen den neuen Fronten, die sich aufbauten, zermalmt zu werden drohte. Und wieder war es Machiavelli, der mit einer heiklen Sondermission beauftragt wurde. Ihr erster Teil lautete: die Ursachen des bedrohlichen Konflikts zu verstehen.
    Aus Machiavellis Sicht lagen die Wurzeln des Übels in Rom, womit sich seine Warnungen aus dem Jahr 1506 bestätigten. Julius II., der hyperaktive Greis auf dem Papstthron, war der Unsicherheitsfaktor Nummer eins für Italien. Zum Störfaktor wurde er durch seine plötzliche Feindschaft mit König Ludwig XII. von Frankreich. Diese Konfrontation kam nicht nur unerwartet, sondern war auch für alle politisch denkenden Zeitgenossen im Wesentlichen unerklärlich. Als Kardinal hatte Giuliano della Rovere während der Herrschaft Alexanders VI. Borgia, seines Todfeindes, am französischen Hof ein Refugium gefunden. Dort hatte er zu den politischen Ratgebern König Karls VIII. gezählt, die diesem 1494 den Zug nach Neapel und damit die Neuordnung der italienischen Machtverhältnisse dringend ans Herz gelegt hatten. Einen frankreichfreundlicheren Kirchenfürsten hatte man in Rom mithin seit langem nicht mehr gesehen. Umso unbegreiflicher war das Zerwürfnis mit Ludwig XII., das sich rasch zu einem regelrechten Vernichtungskrieg zuspitzte, mit Propagandamanifesten und Kampfmaßnahmen, die an die Konflikte zwischen Kaiser Friedrich II. und Papst Innozenz IV. mehr als zweieinhalb Jahrhunderte zuvor gemahnten. Doch im Gegensatz zu diesem Ringen zwischen Reich und Kirche waren die Gründe für den Streit zwischen Julius II. und Ludwig XII. weder alt noch besonders gravierend.
    1508 hatte der Papst mit Matthäus Schiner, dem Bischof von Sitten, einen notorischen «Franzosenfresser» zum Kardinal erhoben. Dieser umtriebige Walliser Kirchenfürst unterhielt ausgezeichnete Beziehungen zu den führenden Politikern der eidgenössischen Orte, war also im Bedarfsfall der ideale Vermittler für Söldner aus deren Herrschaftsgebiet. Der rote Hut für Schiner war so eindeutig gegen Frankreich gerichtet, dass seine Ernennung zunächst geheim gehalten wurde. Für Julius II. war die Möglichkeit, über Schiner jederzeit auf die gefürchteten Schweizer Reisläufer zurückgreifen zu können, eine willkommene Rückversicherung

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