Macho-Mamas
wie man die von der Emanzipation entfesselten weiblichen Kräfte wieder in den Bereich des sozial Verträglichen lenken kann. In der Arbeitswelt ist die Integration durchaus gelungen. Auch wenn von Entfesselung dort nie die Rede sein konnte – sonst müssten wir heute nicht über Frauen-, sondern über Männerquoten diskutieren.
Der einzige Ort, an dem die Diskussion um Männerquoten entbrennen könnte, ist bislang aber die Familie. Die Macht- und Abhängigkeitsverhältnisse zwischen den Geschlechtern haben sich verschoben, seit Frauen und Mütter eigenes Geld verdienen und damit auch außerhalb von Küche und Kinderzimmer an Status und Bewegungsfreiheit gewinnen. Ja, im Privaten hat die Frau sogar mehr Macht gewonnen als in der Öffentlichkeit. Und gerade dort ist diese Macht für alle spürbar und damit eminent politisch. Im Internetforum Mamablog wird regelmäßig moniert, die Emanzipation «vergifte das Klima zwischen den Geschlechtern», habe zu steigenden Scheidungsraten und zu einer Benachteiligung der Väter geführt.
Es sind Vorwürfe, die wir etwas genauer betrachten müssen. Denn darin drückt sich ein Unbehagen aus, das reale Gründe hat. Nur ist an dem Unbehagen nicht die Emanzipation schuld, sondern ihre weibliche Einseitigkeit. Die Frauen haben zwar das Büro erobert, aber das Kinderzimmer nie wirklich verlassen. Die sogenannten Powerfrauen sind in der Familie geblieben, was ihre Vorgängerinnen immer schon waren: emotionales und organisatorisches Zentrum. Das Gegenteil von immer unabhängig und niemals unterwürfig. Eine Familie besteht nicht aus isolierten Individuen, sondern bildet ein System gegenseitiger Abhängigkeit. Das Kind hängt von der Mutter ab, die Mutter vom Vater, der Vater von der Mutter. Wer innerfamiliär etwas verändern will, kann das nicht alleine tun. Er braucht einen Partner, der mitzieht. Sonst kann das Gleichgewicht tatsächlich kippen. Nur anders, als gedacht.
Um das zu illustrieren, gehen wir noch einmal zurück in die siebziger Jahre, in ein kleines Dorf im Mittelland. In einem Haus sitzen Männer und Frauen beim Abendessen, sie reden und lachen. Unter dem Tisch sitzen die Kinder, eins davon ist ein kleines Mädchen. Es belauscht das Gespräch der Erwachsenen und wartet auf das Ritual, welches das Ende des Essens markiert. Dann, wenn der Ton am Tisch ernst wird, beginnen die Erwachsenen über die wichtigen Dinge zu reden, über das große Ganze. Wenigstens ein Teil der Erwachsenen. Der andere Teil, nämlich die Frauen, wird bei diesem Signal aufstehen, die Teller abräumen und sich in die Küche verziehen, um sich über die neuesten Betty-Bossy-Rezepte auszutauschen. Unter dem Tisch blieb die zukünftige Macho-Mama sitzen und kostete die Ahnung, dass sie auch mal an so einem Tisch solche Gespräche führen würde. Und sie war sich sicher, dass sie dann nicht in der Küche stehen, Teller spülen und das Beste verpassen würde.
Zweieinhalb Jahrzehnte später steht diese Macho-Mama tatsächlich nicht in der Küche, sondern klebt spätnachts noch am Bildschirm, um das Interview vorzubereiten, für das sie am kommenden Tag nach London fliegen wird. Sie wird nicht nur auf die kostbaren Stunden verzichten, in denen die Kinder noch wach sind, sondern auch das Essen bei Freunden verpassen. Dafür sitzt sie jeden Morgen an einem anderen Tisch, im Konferenzraum. Und dort war sie auch, als dieses Londoner Interview besprochen wurde. Mit einer Künstlerin. Der Shootingstar der Saison. Mutter eines Kindes. Auf das Stichwort Mutter hin wurden Fragen in die Runde geworfen. Was ist eigentlich mit diesem Kind? Schleppt sie es zu ihren ganzen Vernissagen mit? Oder schiebt sie es ab, zu einer Nanny? Wer könnte das Interview machen? Der Chef sagt: «Du als Frau und Karrieremama müsstest dich doch auf diese Geschichte stürzen.»
Musste sie? Und war sie tatsächlich eine Karrieremutter? Ist man das automatisch, wenn man nicht nur seine Kinder, sondern auch seine Arbeit liebt? Vor allem: Hatte sie überhaupt die Wahl, keine Karrieremutter zu sein? Schließlich beglich ihr Monatslohn die Miete, das Essen, die Versicherungen, und wenn sie den Job behalten wollte, musste sie dranbleiben. Die Frage, ob sie sich auf die Geschichte stürzte, stellte sich also nicht wirklich. Bei der Aussicht auf einen Businesstrip nach London hätte sie ein paar Jahre zuvor noch gejubelt. Heute speiste ihr Hirn diese Information sofort in das System ihrer Abhängigkeiten ein und sondierte die Probleme: Was
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