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Machos weinen nicht

Machos weinen nicht

Titel: Machos weinen nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
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der Nase. Dem Aussehen nach war sie irgendwas zwischen zwölf und fünfundvierzig. Gut möglich, dass sie eine Zwillingsschwester der Mädchen von den vorhergehenden Tischen war.
    »Bitte, machen Sie sich mit der Hausordnung vertraut, Sir.« Ein in Plastikfolie gehülltes Blatt Papier verkündete in drei Sprachen, dass der Kongress »Die religiöse Jugend an der Schwelle zum dritten Jahrtausend« eine gesellschaftlich bedeutsame Veranstaltung sei und unter dem Patronat der Regierung von Malaysia stehe. Aus diesem Grund würden die Delegierten dringend gebeten, folgende Vorschriften einzuhalten. In den Zimmern nicht zu rauchen, nach 22.30 Uhr Ruhe zu bewahren, nicht in den Stock hinaufzusteigen, wo die Delegierten des anderen Geschlechts untergebracht seien, und so weiter, in dieser Art.
    »Akzeptieren Sie diese Vorschriften, Sir?«
    »Vollkommen.«
    »Dann unterschreiben Sie bitte hier, Sir. Danke. Es sind harte Regeln, aber sie sind unumgänglich.«
    »Ich werde glücklich sein, wenigstens zwei Wochen lang ein so vortreffliches Leben zu führen.«
    »Hier ist Ihr Hygieneset. Have a good time , Sir!«
    In dem Päckchen lagen eine Zahnbürste, Seife, ein T-Shirt mit dem Emblem des Kongresses und mehrere Fläschchen mit Insektenspray. Ein Malaie in weißem Hemd und Strandsandalen händigte mir den Schlüssel aus und begleitete mich.
    »Bitte leise, Sir. Alle schlafen schon.«
    »Bei mir zu Hause ist jetzt noch nicht einmal Abend.«
    »Trotzdem, bitte leiser.«
    Die Treppe war breit, mit einem Geländer aus Eichenholz. Das Design des Campus erinnerte an eine Poliklinik in einem Neubaugebiet. Der Klang der Schritte hallte in den leeren Fluren. Ich schloss die schwere Tür auf und knipste das Licht an. Gestrichene Wände, ein Schreibtisch, zwei Betten. Auf dem einen schlief jemand, die Decke bis über den Kopf gezogen. Unter dem Laken ragte ein fleischiges, ziemlich schmutziges Bein hervor. Ich sagte: »Ikskjusmi« – und knipste das Licht aus.
    Ich tastete mich bis zum Bett vor und warf meinen Rucksack darauf. In ihm lagen T-Shirts, Badehose, Shorts und zwei Levi‘s mit Knöpfen am Hosenlatz. Praktisch meine ganze Garderobe. Abgesehen von diesen Sachen hatte ich es mit meinen knapp dreißig Jahren gerade noch zu einer Scheidung gebracht.
    Man kann sich leicht ausrechnen: Mit sechzig werde ich vier Levi‘s haben und zweimal geschieden sein.
    2
    M ein Zimmergenosse erwies sich als dauerlächelnder Italiener. Eine Brille ohne Fassung, abgekaute Fingernägel. Seine Englischkenntnisse beschränkten sich auf die Sätze »Wie heißt du?« und »Woher kommst du?«. Einmal sagte er auch »Merry Christmas!« zu mir.
    »Eigentlich bin ich Buddhist.«
    »Non capisco .«
    »Scheiß drauf, mein Lieber. Mit der Zeit wirst du‘s verstehen.« Vor dem Fenster lag Kuala Lumpur. Ich machte mein Bett und zog los, um die Dusche zu suchen. Es gab kein warmes Wasser. Als ich mich rasierte, lief über die Wand neben dem Spiegel eine kleine Eidechse. Sie sah aus wie ein Schmuckstück aus Nephrit.
    Die Uhr zeigte Viertel vor neun. Also war es in Petersburg noch keine vier Uhr früh. Im Erdgeschoss des Campus frühstückten die Delegierten. Die Kantine war riesig, mit einer hohen Decke und einer Vielzahl runder Tische für je sechs Personen. Die Türen zur Straße waren weit geöffnet, aber trotzdem war es schwül.
    Aus den Lautsprechern klang Musik. Die malaiischen Angestellten schwitzten, lächelten, klirrten mit Untersetzern und reichten, sich auf die Zehenspitzen stellend, den Delegierten die Teller über die Theke. Um den Hals hatten sie rote Piratentücher gebunden.
    An den Tischen saßen übermäßig dicke Amerikanerinnen, Jungen mit Rastazöpfchen, graubärtige Hindus mit Ohrringen in den schlaff herabhängenden Ohren, Holländer in komischen Holzschuhen, rothaarige Typen in T-Shirts, Behinderte in elektrischen Rollstühlen, blausüchtige, schwitzende Skandinavier, Japanerinnen mit Zahnspangen, in Mäntel gehüllte Gestalten mit Rosenkränzen, kraushaarige Schwarze, Schotten in Röcken und noch viele andere.
    Ich schenkte mir Kaffee ein und setzte mich an einen Tisch. Sofort sprach mich ein Israeli mit zotteliger Brust an. Auf dem Tisch lag eine weiße Tischdecke. In der Mitte standen acht Salzfässchen-Pfefferstreuer-Saucenkännchen. Eine üppige Frau mit hohen Wangenknochen stopfte sich, ohne zu kauen, etwas obszön Zielgerichtetes in den Mund. Ich lächelte ihr zu, nahm meinen Kaffee und ging nach draußen.
    Dort war ein tropischer

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