Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Machos weinen nicht

Machos weinen nicht

Titel: Machos weinen nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren:
Vom Netzwerk:
Mond sonderbarerweise niedriger als mein Sitz. Ich nahm einen Schluck Bier, lehnte mich zurück und schloss die Augen. Spürte, wie meine Finger zitterten.
    Als ich morgens am Leningrader Bahnhof in Moskau angekommen war, hatte eine Tafel über dem Bahnsteig »05.32« und »-17 °C« angezeigt. Das eine war so widerlich wie das andere. Im Zug war es kalt gewesen. Ich schlief, ohne mich auszuziehen. Auf den Fenstern bildeten sich Krusten von undurchsichtigem Eis. Eine Liege über mir schmuggelte ein hässliches Mädchen hinter dem Rücken des Schaffners ihren fahrscheinlosen Freund durch. Manchmal wachte ich auf und hörte, wie sie miteinander flüsterten. Das Kopfkissen ohne Bezug roch nach Insektenvertilgungsmitteln.
    Die Moskauer Luft war schwarz, scharf, durchsichtig. Auf den Flügeln der Tauben glitzerte Raureif. In den Buden hüllten sich die Verkäuferinnen in steife türkische Jacken. Ich saß lange im Bahnhofsrestaurant und trank Milchkaffee. Im Sessel mir gegenüber schlummerte ein zottelhaariger Zigeuner.
    In den achtzehn Stunden Aufenthalt in Moskau kaufte ich eine Stange Zigaretten, trank Bier, tauschte meine restlichen Rubel und verirrte mich mehrere Male in der Metro. Sogar in der dicken, pelzgefütterten Lederjacke war mir kalt. Vor den Augen hüpfte mir alles. Die Beine taten weh.
    Papauskas ließ mich mit Gesprächen in Ruhe, aber ich konnte trotzdem nicht einschlafen. In Frankfurt landete die Boeing, als es in Moskau schon zwei Uhr nachts war. Die Passagiere rafften ihr Handgepäck zusammen und strebten zum Ausgang. Die Flughafentunnels erinnerten entfernt an die Anfangslevels von DOOM. Einen Meter von mir entfernt schnatterte laut ein Schwarm katholischer Nonnen in Grau.
    Der deutsche Zollbeamte hatte eine graublaue Uniform, graublaue Äderchen auf den Wangen und blaues Grauen in den Augen. Er fragte mich nach etwas.
    »Ich spreche kein Deutsch.«
    »Er fragt, ob du ein Transitvisum haben willst.«
    »Nein.«
    »Straight through the door. Then to the left. Your flying block is O-Seventeen.«
    Je näher wir unserem flying block kamen, desto weniger europäische Gesichter waren ringsum zu sehen. Im Wartesaal war es schwül. Die unter der Decke hängenden Fernseher brachten Sumo-Wettkämpfe.
    Papauskas drehte den Kopf und hielt nach dem Lama Ausschau. Dann spuckte er aus und setzte sich neben mich.
    »Ist das dein ganzes Gepäck? Ein Rucksack?«
    »Omnia mea megum porto.«
    Neben uns saß ein gemischtes Paar: ein deutscher Mann mit rötlichem Schnurrbart und eine kleine asiatische Frau mit einem kleinen asiatischen Kind auf dem Arm. Der Deutsche stand mehrmals auf und ging zum Flugschalter, um zu schimpfen. Soweit ich verstand, gab es für ihn keinen Platz im Raucherabteil.
    Für mich übrigens auch nicht. Als man die Passagiere ins Flugzeug ließ, stellte sich heraus, dass mein Sitz im vorderen Abschnitt lag, gleich hinter der Pilotenkabine. Papauskas saß auf der anderen Seite des Gangs.
    Es war eng. Kinder kreischten mit widerlichen Stimmen. Mein Nachbar zur Rechten war dick, heiß, unbequem. Ich zog die Jacke aus, streifte den Pullover über den Kopf und steckte ihn in den Rucksack.
    Dann hoben wir ab. Das letzte Mal hatte ich vor mehr als vierundzwanzig Stunden gegessen, aber essen wollte ich gar nicht. Ich sagte der Stewardess, sie solle mir Bier bringen. Dann beugte ich mich zu Papauskas hinüber.
    »Hör mal. Bist du selber denn auch – ich meine – Buddhist?«
    »Kann man so sagen.«
    »Und?«
    »Was – ›und‹?«
    »Na, ich meine – also – ist es schwer, Buddhist zu werden?«
    »Du willst Buddhist werden?«
    »Ich weiß nicht. Vermutlich. Ist das schwer?«
    »Meditierst du?«
    »Was?«
    »Wozu willst du Buddhist werden?«
    »Und wozu bist du es geworden? Ich muss doch schließlich irgendwas werden.«
    »Es ist wirklich nicht schwer, Buddhist zu werden.«
    »Und dieser Typ – dein Däne – kann er – ich weiß nicht, wie man das nennt – kann er mich zum Buddhisten taufen? Du verstehst schon.«
    »Ein Mensch, der Buddhist werden will, ist bereits ein Buddhist. Die Hauptsache ist zu begreifen, was das ist.«
    »Und was ist das?«
    Er stand auf, zog seine teure Tasche aus dem Regal, wühlte eine Weile darin herum und reichte mir dann eine kleine Broschüre.
    »Lies. Da steht alles.«
    Auf dem Umschlag stand: »Der Weg zur endgültigen Befreiung«. Ich trank etwas Bier, schlug die Broschüre auf und begann zu lesen. Als ich aufwachte, schien die Sonne ins Fenster. Im Gang, über

Weitere Kostenlose Bücher