Mach's falsch, und du machst es richtig
einschlägiger Beispiele. So bezeichnet etwa der Begriff «Impressionismus» jene malerische Stilrichtung, die im letzten Drittel des 19 . Jahrhunderts entstanden ist und die maßgeblichen Einfluß auf die moderne Malerei hatte. Doch zu Beginn war die Bezeichnung «Du Impressionist!» nichts als ein Schimpfwort. Wer sein Malzeug packte, nach draußen in die Natur ging, um dort flüchtige Momente des Lebens einzufangen – der war verdächtig. Kein Wunder, galt doch damals nur der als seriöser Maler, der im luft- und lichtundurchlässigen Atelier vor sich hin pinselte. So veröffentlichte der Autor und Kunstkritiker Louis Leroy am 25 . April 1874 in der französischen Satirezeitung
Charivari
einen berühmt gewordenen Artikel mit dem Titel «L’exposition des Impressionistes». Darin verhöhnte er die Maler rund um Claude Monet als «Impressionisten». Leroy bezog sich in seiner abfälligen Verwendung des Begriffs auf den Titel eines Bildes von Monet, das der 1872 gemalt hatte; es heißt «Impression soleil levant» («Impression, Sonnenaufgang») und zeigt den morgendlichen Hafen von Le Havre. Das Ergebnis: Die Beschimpften schnappten sich den negativen Begriff, nannten sich fortan selbst so und wendeten ihn solcherart in sein Gegenteil.
Ein Mechanismus, den wir in vielen anderen Fällen und Epochen ebenfalls beobachten können: Pietismus, Hexe, Formalismus, Bollywood – lauter Bezeichnungen, die erst negativ gemeint waren, bevor ihre Bedeutung ins Positive kippte. Eines der eindrucksvollsten Beispiele für dieses Phänomen lieferte die deutsche Boulevardzeitung
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im Jahr 2011 . Zu deren Werbekampagne gehört es, Prominente nach ihrer Ansicht über die Zeitung zu fragen und dieses Statement gemeinsam mit dem Porträt des Befragten zu veröffentlichen. Neben dem Versprechen, tatsächlich die «offene, ehrliche und ungeschönte Meinung» der Befragten zu publizieren, bietet die Werbeagentur Jung von Matt noch ein zweites Argument auf, um Promis für die Sache zu gewinnen: Man würde in deren Namen 10 000 Euro an eine Institution spenden, die sie auswählen dürften. Als eine Anfrage dieses Inhalts die deutsche Band «Wir sind Helden» erreichte, geriet deren Sängerin Judith Holofernes außer sich. Und schrieb einen offenen Brief an die Werbeagentur, den sie auch auf der Homepage der Band veröffentlichte. [105] Die Antwort beginnt mit der Feststellung «Ich glaub, es hackt», denn Holofernes hält die
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-Werbekampagne für «das Perfideste, was mir seit langer Zeit untergekommen ist» – und endet mit der unmißverständlichen Feststellung: «Die Bildzeitung ist ein gefährliches politisches Instrument – nicht nur ein stark vergrößerndes Fernrohr in den Abgrund, sondern ein bösartiges Wesen, das Deutschland nicht beschreibt, sondern macht. Mit einer Agenda.» Worin diese Agenda besteht, führt die Sängerin nicht weiter aus, aber jedem Leser ist klar, daß sie mit alledem nicht das geringste zu tun haben will.
Möglichkeiten, auf diese Antwort zu reagieren, hätte es viele gegeben: Die Werbeagentur hätte der Sängerin in einem offenen Brief antworten können, die Zeitung etwas Negatives über die Band schreiben, der Chefredakteur einen Leitartikel mit dem Hinweis auf die vielen anderen Promis verfassen, die schon mitgemacht haben undsoweiterundsofort. Die Zeitung wählte
keine
davon. Vielmehr bediente sie sich der Wucht der Kritik und veröffentlichte nur vier Tage nach dem offenen Brief eine weitere Anzeige in ihrer Prominenten-Serie. Diese Anzeige bestand aus nichts anderem als dem Logo und dem Claim der Zeitung («Bild Dir Deine Meinung!») sowie dem Satz: « BILD bedankt sich bei Judith Holofernes für ihre ehrliche und unentgeltliche Meinung» – und dem offenen Brief der Sängerin. Im Wortlaut, inklusive Schreibfehlern.
Wer je ein Handbuch verfassen will, das erklärt, wie man Menschen nicht nur das Wort im Munde herumdreht, sondern es zum eigenen Vorteil verwendet und diese Menschen dafür auch noch durch den Kakao ziehen kann – der muß dieser
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-Aktion ein eigenes Kapitel widmen. Sie spielt auf so vielen Ebenen, daß einem schwindlig wird. Es beginnt damit, daß die Werbeagentur die Anzeige in einem links-alternativen Medium schaltete, der
tageszeitung. Bild
gibt also Geld, das die stets klamme
taz
bestens gebrauchen kann, dafür aus, eine Leserschaft mit ebenjener Meinung über sich zu konfrontieren, die diese seit langem hegt und die sie nun ein weiteres Mal bestätigt
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