Mach's falsch, und du machst es richtig
auf sich warten – wenn sie auch anders ausfiel, als die Eltern sich das gedacht hatten (und die Programmentwickler wohl auch). Anstatt die Verwendung obszöner Begriffe einzuschränken, begannen die Kinder damit, immer mehr davon einzugeben. Ja, sie begnügten sich nicht damit, ihren einschlägigen Wortschatz zu plündern und einzutippen, sondern sie recherchierten neue Wörter, um ihre diesbezüglichen Kenntnisse zu erweitern und damit die Software immer wieder zum Quäken zu bringen. Bei jedem Treffer konnte man sie in ihrem Zimmerchen triumphierend lachen hören.
Ganz ähnliches berichtete das Kind von Freunden einem unserer Kinder, und zwar in einem Moment, als sich die beiden unbeobachtet glaubten. Doch weil Eltern darauf konditioniert sind, zu hören, was sie nicht hören sollen, bekamen wir es mit. Er habe, erzählte das Kind, von seinem Vater eine Englisch-Lernsoftware für die Spielkonsole geschenkt bekommen. Damit solle er seinen Vokabelschatz und vor allem seine Aussprache trainieren. Das Programm sei aber «voll langweilig», berichtete er. Nachdem man eine Lektion abgeschlossen habe, gebe es nur «voll doofe» Kinderspiele. Vor kurzem aber habe er entdeckt, daß das Spiel doch zu etwas nütze sei: Er habe damit angefangen, mit der Aussprache vorgegebener Sätze herumzuprobieren, und dabei bemerkt, daß man von der Software auch dann für die korrekte Aussprache eines Satzes gelobt werde, wenn man etwas sage, das nur so ähnlich klinge. «Das Programm wollte, daß ich ‹I love you› nachsage – aber ich hab was anderes gesagt und hab auch Punkte dafür bekommen!» Was er denn statt «I love you» gesagt habe, wollte unser Großer wissen: «I hate you!» und «Hau ab, du alte Kuh!», so der Freund. Noch lange konnten wir die beiden in ihrem Zimmerchen triumphierend lachen hören.
Unser Belohnungssystem hat eine doppelte Funktion: Einerseits verspricht es uns verlockende Dinge, und andererseits honoriert es ein bestimmtes Verhalten. Dadurch motiviert es uns zu immer neuen Unternehmungen.
Wir wären schlecht beraten, die ganze Sache mit dem Hinweis abzutun, da hätten ein paar Programmierer geschlampt und es sei bloß eine Frage von Updates, bis die Software funktioniere. Selbst wenn das stimmen sollte (was es nicht tut, wie jeder weiß, der schon mal eine benutzt hat), würden wir uns eine einmalige Gelegenheit entgehen lassen. Und zwar jene, unser Belohnungssystem näher kennenzulernen, das so mächtig ist, daß es uns die abenteuerlichsten Projekte in Angriff nehmen läßt. An welches Sie auch immer denken mögen – den Himalaja barfuß zu besteigen, den «Mann ohne Eigenschaften» oder dieses Kapitel zu Ende zu lesen, ohne wegzurennen eine ganze Folge von «Deutschland sucht den Superstar» anzugucken, mit dem Verzehr von Schokoladetafeln aufzuhören – stets ist besagtes System in führender Rolle beteiligt. Grund genug, uns eingehender mit ihm zu beschäftigen. Zumal wir auf diese Weise erfahren werden, weshalb unsere Versuche, durch Versprechungen etwas zu erreichen, so oft zum Gegenteil des Erhofften führen, wie wir das in den beiden Beispielen gesehen haben.
Warum also haben die Kinder voller Freude und anhaltend mit der Software gespielt? Die Frage ist erst einmal schnell beantwortet: Die Software hat sie belohnt. Indem sie lustig gequäkt oder Punkte für Nonsens vergeben hat. Nun mag diese Form der Belohnung nicht jedem befriedigend und erstrebenswert erscheinen – für die Kinder war sie es ganz offensichtlich. Ausgelöst wurde ihr fröhliches Treiben von einem System im Gehirn, dessen exakter Funktionsweise man erst seit einigen Jahren auf der Spur ist und das daher noch immer nicht restlos entschlüsselt ist. Ein Name jedenfalls ist gefunden, die einschlägige Forschungsliteratur bezeichnet es als das «dopaminerge mesolimbisch-mesokortikale System»; das klingt nicht nur ziemlich kompliziert, sondern ist es auch. Man hat ihm daher auch andere, vertrautere Namen wie Belohnungs-, Motivations- oder Lustsystem gegeben. Das macht die Sache aber nicht unbedingt einfacher; während einzelne Bereiche des Systems als sehr gut erforscht gelten, sorgt deren Zusammenwirken noch für offene Fragen.
Eine der beiden zentralen Aufgaben dieses Belohnungssystems besteht darin, all jene Reize, die auf uns einströmen, daraufhin zu betrachten, ob sie unsere Erwartungen übertroffen und daher das Etikett «überraschend gut» verdient haben. Tippen wir also ein unflätiges Wort in unseren
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