Macht des Schicksals - Spindler, E: Macht des Schicksals
„Was will er?“
„Dich sehen, natürlich. Und fragen, ob es dir gut geht.“
„Oh, Tina, du hast ihn doch hoffentlich nicht angerufen?“
„Natürlich nicht.“ Tina ging zum Fenster und zog die schweren blauen Vorhänge auf. Die Morgensonne fiel ins Zimmer. „Sam wars.“
„Warum?“
„Darum“, erwiderte Tina und drehte sich zu ihr um. „Sam meinte, Gregory sollte wissen, was passiert ist.“
„Und du hast ihm zugestimmt?“ Rachel versuchte, vorwurfsvoll zu klingen, was ihr aber nicht wirklich gelang.
„Warum auch nicht? Gregory ist ein guter Mensch, und er fühlt sich schuldig, dass er dein Leben so in Unordnung gebracht hat.“
„Das hat er dir gesagt?“
„Nein, aber Sam wusste, wie er sich fühlen muss.“ Die ältere Frau stützte ihre Hände auf das Gitter am Fuß des Betts, beugte sich vor und flüsterte: „Also, was ist? Bist du bereit, mit dem armen Mann ein wenig Mitleid zu haben?“
Rachel hielt sich die Hand vor den Mund und gähnte. „Sag ihm, ich bin gleich da.“
„Gut.“ Tina deutete auf das Badezimmer. „Da findest du alles, was du brauchst. Zahnbürste, Bademantel, Hausschuhe.“ Sie grinste. „Und einen Kamm, falls du dich ein wenig herrichten möchtest.“
„Will ich nicht. Er wird mich so akzeptieren müssen, wie ich bin.“
Tinas Blick war eine einzige Anspielung. „Oh, ich bin sicher, das wird er, Honey. Ohne zu zögern.“ Sie zog die Tür hinter sich leise ins Schloss.
Gregory stand in der Küche und sah aus dem Fenster, in der Hand den Kaffeebecher, den Tina ihm gegeben hatte. Vor dem Weingut parkte der Van einer Reinigungsfirma, die drei Leute in Overalls geschickt hatte, um die Überreste vom Vorabend beiseite zu schaffen.
Sams Anruf hatte ihn erreicht, als er gerade duschen wollte. Als er hörte, dass jemand versucht hatte, Rachel umzubringen, war ihm ein eisiger Schauder über den Rücken gelaufen. Gregory hatte seit jeher eine Abneigung gegen Männer, die Frauen angriffen, und wenn die Frau auch noch jemand war, der ihm zunehmend mehr zu bedeuten begann, wurde aus dieser Abneigung etwas weitaus Gefährlicheres.
Jetzt, da er in Tinas gemütlicher Küche stand, wich dieser Zorn einem anderen Gefühl: Schuld. Was, wenn der Anschlag auf Rachels Leben in Verbindung mit Sal Dassante stand? Sal war ein verhasster Mann. War es da so weit hergeholt zu glauben, dass jemand ihn verletzen wollte, indem er seine Enkelin ins Visier nahm?
„Hi.“
Er wirbelte herum. Als er Rachel in einem weißen Frotteebademantel dastehen sah, unverletzt und mit einem Lächeln auf dem Gesicht, musste er sich mit aller Macht daran hindern, zu ihr zu eilen und sie bis zur Besinnungslosigkeit zu küssen.
„Auch ,hi’.“ Anstatt ihr zu zeigen, dass er sich um sie sorgte, beschloss er, seine Besorgnis unter ein wenig Humor zu verstecken. „Ich habe gehört, du hast dir ein neues Hobby zugelegt? Weinfässer jonglieren?“
Sie hatte sofort eine passende Erwiderung auf Lager. „Und mit ein wenig Übung könnte ich eines Tages vielleicht sogar zum Zirkus gehen.“ Sie sah sich um und fragte: „Wo sind die anderen?“
„Sam hilft beim Aufräumen. Und Tina ist zum Markt gefahren.“ Er deutete auf den runden Ahorntisch, auf dem ein Körbchen mit Blaubeermuffins bereitstand. „Sie sagte, wenn wir nichts essen, würde sich das bitter rächen.“
Rachel ging hinüber zum Tisch. „Da bin ich sicher. Tinas Lebenszweck – abgesehen davon, meine Freundin zu sein – war es schon immer, mich gut zu ernähren. Sie sagt, Essen sei gut für die Seele.“
Gregory folgte ihr und sah zu, wie sie die Kaffeekanne nahm und zuerst seinen und dann ihren Becher auffüllte.
„Du hättest nicht extra herkommen müssen, um festzustellen, wie es mir geht, weißt du?“ sagte sie, während sie die Kanne zurückstellte. „Ein Anruf hätte es auch getan.“
„Ich wollte mich persönlich davon überzeugen, dass es dir gut geht.“ Er betrachtete sie eindringlich. „Geht es dir gut, Rachel? Manchmal kommt die Reaktion auf eine Begegnung mit dem Tod mit einiger Verspätung.“
„Körperlich bin ich okay. Emotional bin ich immer noch ein wenig wacklig.“ Sie nahm einen Muffin, zerteilte ihn in mehrere kleine Stücke und verteilte sie auf ihrem Teller. „Einen solchen Unfall hat es bei Spaulding noch nie gegeben.“
„Sam hat es nicht als Unfall bezeichnet. Vor allem, weil es nicht der erste Zwischenfall ist.“ Als sie nichts dazu sagte, fuhr er fort: „Warum hast du mir nicht erzählt,
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