Macht: Thriller (German Edition)
glaube Ihnen, dass das so in dem Text da geschrieben steht. Aber – with all due respect, Miss – zählen Sie bitte selbst nach!«
»Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht!« Das Lächeln der Studentin wirkte wie eingefroren.
»Und die Spitze hinter den Wolken, Miss? Was ist mit dem Stockwerk ganz oben?« Thorpe zeigte mit dem Finger auf die Mauerkrone. »Mit diesem sind es vom Hafen bis ganz hinauf: Neun. – Anders ergibt das auch gar keinen Sinn. Die Acht steht für das himmlische Jerusalem, die Vollendung. Die Neun dagegen ist die höchste natürliche Zahl. Die Zahl der Macht. Aber auch ihr eigenes Gegenteil, das Ende allen Seins. Das Rien-ne-vas-plus , das Nichts-geht-mehr .«
»Äh. – Ja! – Ganz wie Sie meinen. Danke! – Die Stadt stellt das Antwerpen zu Beginn der frühen Neuzeit dar.« Die Kunstgeschichtestudentin setzte ihren Vortrag fort. »Aber, wie Sie unschwer erkennen können, ist dies zwar eine sehr genaue Vedute, aber keine gänzlich naturgetreue, weil Antwerpen bekanntlich auf keiner Insel im Ozean liegt. Unten am Hafen können Sie die Frachtschiffe sehen, die die Baustoffe anliefern. Am Kai kann man deutlich die ausgeladenen und aufgestapelten Ziegel erkennen.«
»Nein!« Gernot sprang auf und schob Josephine zur Seite. »Das sind keine Frachtschiffe, junge Dame. Das ist das Beste, das die niederländische Marine in dieser Zeit aufzubieten hatte. Das da vorne ist ein Frachtschiff, ein Frachtkahn. Ein Kahn, wie Sie unschwer erkennen können. Diese Segler sind Pinaßschiffe . Diese Vollschiffe wurden auch Ostindienfahrer genannt. Das sind Handelsschiffe gewesen, die nicht nur ungemein seetüchtig, sondern auch verdammt schnell gewesen sind. Und bis an die Zähne bewaffnet! Die Holländer sind mit diesen Schiffen runter nach Süden, um das Kap der Guten Hoffnung herum und weiter in den Indischen Ozean. Die Holländer waren dabei so flott unterwegs, dass die Engländer, Spanier und Portugiesen nur blöd hinterhergegafft haben. Manche Kapitäne haben die Wasserlinie ihrer Pinas wellenförmig streichen lassen. Und wissen Sie auch warum? Dass sie noch schneller ausgesehen haben, so als flögen sie über die Wellen! – Kennen Sie die Legende vom Fliegenden Holländer? Das war einer von denen!«
Josephine zog einen Mundwinkel nach oben. In ihren Ohren klang das mit der Schiffslackierung ja wie Autotuning. Männer! Die änderten sich wohl nie. Und Gernot, Gernot hörte sich grade an wie seine Mutter. Die Studentin konnte einem leidtun. Joi istenem ! Die wusste gar nicht, wie ihr geschah.
»Waren die Käseköppe erst mal um das Kap herum, ging es munter weiter bis nach Indien, Java –«
»Java?!«, unterbrach Thorpe und legte seine Stirn in Falten. »Das ist nicht gut.«
»Was? Nicht gut? Das war perfekt!« Gernot war nicht mehr zu bremsen. »Java haben sie Mitte des sechzehnten Jahrhunderts erreicht. Und von da ging es dann weiter bis nach China und in das Vorzimmer ihrer Ahnen, Fräulein, nach Nagasaki!« Gernot wusste, es machte die jungen Dinger rasend, wenn man sie mit »Dame« oder »Fräulein« anredete.
»Ich bin Wienerin! – Und meine Eltern sind aus Südkorea, nicht aus Japan!« Die Studentin pendelte mit dem Kopf und zog dabei die Oberlippe hoch, dass man die Schneidezähne sehen konnte.
»Das macht nichts, dort sind die auch gewesen.«
»Der König!« Udo stelzte von einem Fuß auf den anderen.
»Nimrod!« Die Geduld der Asiatin neigte sich.
»Nimrod«, wiederholte Josephine und rückte so nah wie möglich an die Darstellung des Herrschers heran. »Der aus dem Pentateuch. Aus dem Alten Testament. Na klar!«
»Ja, Nimrod, der König von Babel. – Der Turm von Babel …« Die Studentin verschränkte die Arme und rollte mit den Augen.
»Ein Urenkel von Noah.« Josephine fixierte Thorpe und klimperte mit den Wimpern. »Von welchem der Söhne Noahs stammt Nimrod ab? Von welchem der drei Stammväter der Menschheit? Sem, Ham oder Japhet? Kommen Sie, Ian, Sie wissen das. Ich sehe es Ihnen an der Nasenspitze an.«
Thorpe fühlte sich geschmeichelt, richtete sich auf und holte Luft. »Nach Genesis, Kapitel 10 war Nimrod der Erstgeborene von Kusch aus der Blutlinie Hams. In der King James Version lautet der achte Vers: And Cush begat Nimrod: he began to be a mighty one in the earth. Martin Luther übersetzte die Stelle mit: Nimrod: Der war der Erste, der Macht gewann auf Erden .«
Macht! Die gab man sich nicht selbst, die offerierten einem die Anderen. Josephine nickte
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