Macht: Thriller (German Edition)
beschloss, unter den Bäumen an der Kirchenrückseite zu warten, bis das Ärgste vorüber war. Dann würde er ein Vieraugengespräch mit seinem Kumpel suchen. Was er Gabriel zu sagen hatte, ging nur seinen Freund und ihn etwas an. Er brauchte bei seinem Abschied keine betulichen Fremden rundherum, die ganz zufällig an seinen Lippen hingen oder die Intensität seiner Trauer anhand der Feuchtigkeit der Augen kontrollierten. Und mit Sophie konnte er später noch reden. Er hatte sich zwar mit Händen und Füßen gewehrt, aber sie hatte darauf bestanden, dass er auch zum Essen blieb. Er blies verächtlich durch die Nase aus. Leichenschmaus, das hieß sich satt fressen und Witze reißen auf Kosten der Hinterbliebenen.
Szombathy formte einen Rauchkringel und schaute hinterher, wie er langsam über die Grabsteine schwebte und sich schließlich auflöste. »Shadows and dust, Maximus«, flüsterte er. »We humans are but shadows and dust.«
Er hörte Schritte näherkommen. O nein, flehte er im Geiste, keine Konversation. Ich bin gar nicht hier. Gernot wollte gehen, aber seine Neugier konnte er nicht unterdrücken. Bei seinem Blick zur Seite blieb ihm fast das Herz stehen. Szombathy erkannte die schlanke Frau unter dem Regenschirm sofort.
»Gernot? Gernot Szombathy?« Die Rothaarige hatte ihren Kopf leicht zur Seite gelegt und schaute ihn mit großen grünen Augen an. Sie lächelte, aber es war nicht zu übersehen, dass sie bei der Beerdigung viel geweint hatte.
»Josi«, würgte Szombathy hervor und streckte ihr die rechte Hand entgegen. »Schön, dich zu sehen!« Und schon in der nächsten Sekunde kamen ihm seine Worte unsagbar blöd vor. Es war nicht schön, sie hier und jetzt zu sehen, es war scheiße.
Josephine hatte Gernot gar nicht richtig zugehört. Ihr war nur klar geworden, dass er es wirklich war. Und die Distanz, die bei ihrem Wiedersehen zwischen ihnen beiden herrschte, tat ihr weh. Sie sah erst verwirrt auf seine Hand, dann fiel sie ihm kurzentschlossen um den Hals.
Szombathy stand wie angewurzelt da. Zunächst hielt er stocksteif seine Zigarette von Josephines Haaren weg und bog den Schirm vor seinem Auge zur Seite. Schließlich legte er ihr seine Hand auf den Rücken und merkte, dass sie am ganzen Körper zitterte. Er roch ihr Haar, spürte ihren Atem an seinem Hals. Sein Hemdkragen fühlte sich warm an.
»Es tut mir leid«, schniefte Mahler und machte einen Schritt zurück. Ihr Make-up war total zerlaufen, und die Hälfte davon klebte an Gernots Hemd. »Es ist nur … Josi hat mich schon so lange niemand mehr genannt außer Gabriel …«
»Es ist, was es ist«, brummte Szombathy und beäugte den orangeschwarzen Fleck an seinem Hals. »Das macht nichts«, beruhigte er Josephine und reichte ihr ein Taschentuch. »Ich habe eine Waschmaschine.«
»Hast du bitte eine Zigarette für mich?« Mahler tupfte sich mit dem Taschentuch die zerronnene Schminke von den Wangen.
Szombathy griff wortlos in seine Sakkotasche und hielt ihr eine schwarz-weiß gestreifte Zigarettenpackung entgegen.
»Smart?« Josephine zwang sich zu einem Lächeln. »Du rauchst diese Stiefelfetzen immer noch? Die bringen dich noch eines Tages um.«
»Die guten österreichischen Hacklermarlboro?«, erwiderte Gernot geistesabwesend und gab ihr Feuer. »Semper et ubique!«
»Nicht immer und überall, wie es auf der Packung steht. In Frankfurt am Main gibt es diese Sargnägel nicht in den Läden.« Mahler machte einen Zug und unterdrückte ein Husten. Frag mich warum Frankfurt, dachte Josephine und ließ Gernot nicht aus den Augen. Warum hast du dich all die Jahre nicht ein einziges Mal bei mir gemeldet?
Szombathy nickte und schwieg. Er wusste, dass Josephine seit mehr als zehn Jahren in Hessen lebte. Er hatte oft darüber nachgedacht, sie dort zu besuchen. Aber dann hatte ihm Gabriel erzählt, dass sie einen festen Freund hatte, und da war ihm die Lust vergangen. »Wo wohnst du? Bei deinen Eltern?«, fragte er schließlich.
Josephine schüttelte den Kopf. »Nein. Ich wollte lieber für die paar Tage ins Hotel gehen. Aber Sophie hat darauf bestanden, dass ich bei ihr im Pfarrhaus schlafe. Es gibt ein Gästezimmer im Erdgeschoss.«
»Will wohl nicht mit dem Kind alleine sein in dem Haus«, brummte Gernot und legte seinen Kopf in den Nacken. »Kann ich gut verstehen, nach alldem.«
»Nein, will sie nicht«, gab Josephine zurück und verstummte.
Sie standen eine Weile schweigend nebeneinander und vermieden es, sich anzusehen. Plötzlich
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