Macht: Thriller (German Edition)
wissen. Er sah einen von Gabriels Zahlencodes.
Steuben nahm die Brille ab und strich sich den dunkelblonden Scheitel glatt. »Entschuldigen Sie, Herr Kernreiter, ich fürchte, wir haben unser Gespräch auf dem falschen Fuß begonnen.«
Blöd ist er nicht, dachte Udo und gab Steuben die Postkarte zurück. »Wo haben Sie das her?«, wiederholte er mit etwas mehr Nachdruck.
»Von Gabriel Fuchs«, antwortete Steuben und begegnete offen Udos Blick. »Unser gemeinsamer Freund hat mich um meinen fachlichen Rat gebeten. Ich weiß, woran er gearbeitet hat, und ich bin Experte auf dem Gebiet.«
»Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen«, entgegnete Udo und deutete auf die Ladentür. »Auf der Karte sehe ich nur Zahlensalat.«
»Herr Kernreiter, ich bitte Sie, verzichten wir auf Spielchen.« Steuben sah erst auf den Fußboden, dann setzte er sich die Augengläser wieder auf und wandte sich an Udo. »Ich weiß, dass es noch andere Interessenten gibt. Ich weiß aus den Nachrichten, was Gabriel und seiner Familie widerfahren ist. Ich verstehe sehr gut, dass Sie Angst haben. Aber mir, mir können Sie vertrauen. Gabriel hat es auch getan.«
»Was wollen Sie?«
»Gut, wir kommen uns näher.« Steuben zog seine Brieftasche heraus und reichte Udo seine Visitenkarte. »Hören Sie, ich vermute, es gibt noch mehr solcher Nachrichten, aber ich kann sie nicht lesen. Ich helfe Ihnen, wenn Sie mir helfen. Do ut des. Ich gebe, damit du gibst. So läuft es doch immer, oder nicht?«
Udo zögerte einen Moment, dann nahm er die Visitenkarte an. »Helfen? Wie wollen Sie uns helfen?«
Steuben spitzte die Ohren. »Uns? Sie arbeiten im Team?« Er schaute kurz auf den Boden, fuhr sich über den Mund und nickte, wie um sich selbst eine langgehegte Vermutung zu bestätigen. »Das kommt ganz darauf an, welcher Art ihre Probleme sind«, lächelte er dann. »Ich habe die Wege, und ich verfüge über die Mittel, Ihnen zu helfen. Ich erkläre Ihnen den Inhalt der Botschaften. Ihr Gehalt übersteigt die Kompetenz eines Einzelnen, das liegt in ihrer Natur. Wir fügen Steinchen für Steinchen zusammen, bis wir gemeinsam das große Bild erkennen. Und falls um Sie herum Unerklärliches geschieht, oder sie verfolgt werden, zögern sie nicht, mich anzurufen. Ich hau sie raus! Ich bin ein paar Tage in der Stadt und stehe jederzeit zu ihrer Verfügung.«
»Sie haben die Wege und die Mittel?«, schmunzelte Udo. In Deutschland verdienten Akademiker laut OSZE-Vergleich durchschnittlich 25 270 Euro im Jahr, fast 6000 weniger als in Österreich. Das reichte nicht für die vollmundigen Versprechen. Er hatte heute erst im Internet nachgesehen, weil er mit seinen Einkünften vergleichen wollte, was Josephine bestenfalls in Frankfurt verdiente. Udo war mehr denn je willens, den Dampfplauderer Steuben vor die Tür zu setzen.
»Zugegeben, ich nicht.« Steuben fasste Udo streng ins Auge. »Aber das Unternehmen, für das ich arbeite. Da steckt Geld dahinter, viel Geld, darauf können Sie wetten. Mein Labor ist in einem Glaspalast keinen Steinwurf vom Brandenburger Tor entfernt. Und von dort ist es, wie Sie vielleicht wissen, nicht weit zu Frau Merkel in die Waschmaschine, ins Bundeskanzleramt. Wenn Sie mir helfen und keine Fisimatenten machen, Herr Kernreiter, verspreche ich Ihnen ein Stück vom Kuchen.« Steuben ließ die Augen über die feine Staubschicht auf Regalen und Ladentischen wandern. »Groß genug, dass es Ihnen egal sein wird, wie viel Sie am Tag verkaufen. Kein Zittern mehr in den Fingern, wenn Sie Rechnungen aufmachen. Nie mehr! Sie können sich ganz ihrer spirituellen Reise widmen.« Steuben hob einen Reiseführer von einem Bücherstapel. Ein schneebedeckter Gipfel und eine Leine mit bunten Gebetsfahnen im Wind waren auf dem Titelbild. »Sie wollen doch sicher selbst den heiligen Berg Kailash umwandern? Ich bin schon da gewesen. War klasse. – Na, wie klingt das?«
»Klingt toll.« Udo gab sich nach außen cool, aber kam innerlich ins Wanken. Der Typ, der aussah wie die graue Maus persönlich, bluffte nicht. Steuben glaubte jedes Wort, das er sagte. »Geben Sie mir einen Beweis Ihrer Freundschaft, ein Unterpfand. Ein Zeichen Ihres guten Willens, das ich meinen Freunden zeigen kann.«
»Woran denken Sie?«
»Geben Sie mir die Postkarte!« Kernreiter streckte die Hand aus.
Steuben lachte auf und schüttelte den Kopf. »Ihr Österreicher seid schon ein drolliges Völkchen. Man bietet euch den kleinen Finger, und ihr wollt die ganze Hand. – Was bekomme
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