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Macht: Thriller (German Edition)

Macht: Thriller (German Edition)

Titel: Macht: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David G.L. Weiss
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hinterher, dann hob er die Augen. Sein Blick blieb an dem Deckengemälde hängen. An dem Mond und der Sphinx mit dem Buch der sieben Siegel, dem Reigen aus Menschleibern und den beiden Titanen, die sich auf den Rücken ihrer aufbäumenden Rosse angriffen. Ammenmärchen? »Der Krieg ist der Vater alle Dinge …«, murmelte er und folgte Moosbrugger mit etwas Abstand zum Schaukasten der österreichischen Nordpolexpedition.

35
    S/X Admiral Tegetthoff, Österreichisch-Ungarische Nordpolexpedition, Dezember 1873
    C arl Weyprecht rieb sich die Hände und blies warme Atemluft hinein. Kaum waren seine Fingergelenke wieder einigermaßen beweglich, griff er erneut zur Feder und notierte die Messergebnisse der letzten Stunde in die dafür vorgesehenen Listen. Die Arbeit war das Letzte, das seinen Verstand in diesen Wochen und Monaten zusammenhielt.
    Als der Linienschiffsleutnant das Großherzogtum Hessen-Darmstadt nach dem Gymnasium verlassen hatte, um nach Süden zu gehen und Seemann der k. u. k. Marine zu werden, da hatte er von den Adriaküsten, mandeläugigen Schönheiten und den Tropen geträumt. Aber statt von Triest zum Kreuz des Südens hatte ihn ein schicksalhafter Wind in das Geschützfeuer der Seeschlacht vor Lissa und weiter zu den Plänen Oberleutnant Julius Payers und des Grafen Hans Wilczek geweht. Sein Kurs lag an, er führte nach Norden. Den Nordpol für Österreich-Ungarn zu entdecken, das war der neue Traum. Und wirklich, mit dreiunddreißig, das Seekommando der prestigeträchtigen Expedition. Weyprecht legte die Feder zur Seite und fuhr sich über den gefrorenen Bart. Die Payer-Weyprecht-Expedition. Das hatte er sich ganz anders vorgestellt. An Ruhm und Ehren reich. Die Wahrheit präsentierte sich anders: In Packeis und Finsternis verloren.
    In titulo war Weyprecht immer noch Kommandant der Expedition zu Wasser, Payer zu Land. Aber beides hatten die Abenteurer und ihre Getreuen schon lange nicht mehr gesehen. Den Polarsommer hindurch trieben sie hilflos vom Packeis eingeschlossen nach Norden, den Launen der Strömung und des Eises ausgeliefert. Die Entdeckung der Inseln des Franz-Joseph-Lands lag mittlerweile vier Monate zurück. Die kargen eisumwehten Felsen waren von Deck aus immer noch zu sehen. Und das Eis. Eis, Eis, Eis und der Tod. Das offene Meer und das Festland waren zu Erinnerungen einer anderen, einer lebenden Welt erstarrt.
    Die Rohre fauchten und Dampfwolken bildeten feine Wirbel im Licht der Lampe. Der Heizer Pospischill machte Dampf im Maschinenraum. Die Heizphasen richteten nichts aus. Das Eisbrett unter dem Bett in Weyprechts Koje war schon armdick und wuchs mit jedem Atemzug. In den anderen Quartieren war es nicht anders. Doch solange die Aufbauten und Lagerräume der Tegetthoff Brennstoff lieferten, und der Kessel des Hilfsantriebs die Zentralheizung der Schonerbark versorgte, glomm der Hoffnungsfunken weiter.
    Der Linienschiffsleutnant horchte auf. Die Spanten der Admiral Tegetthoff ächzten und stöhnten unter dem Druck des Eises. Weyprecht notierte den gegenwärtigen Breiten- und Längengrad, Kurs und Außentemperatur. Er hatte gelernt, mit der Angst zu leben, jede Minute von den Eismassen zermalmt zu werden. Jeder Stoß konnte der letzte sein, konnte das Ende für den eingeschlossenen Schoner und seine Besatzung bedeuten. Für die Hunde war es schlimm gewesen. Hatten immer geheult, die armen Tiere. Jetzt war es still an Deck. Kein Winseln mehr da oben.
    Andere Laute drangen an das Ohr Carl Weyprechts. Er hörte das Stöhnen und die wirren Schmerzensschreie von Otto Krisch, dem Maschinisten, der mit Tuberkulose im Sterben lag. Starb Krisch, starb der Kessel, starb das Schiff.
    Weyprecht stand auf und griff zur Bibel. Bald würde er wieder hinaus vor seine Männer treten müssen, ihren fragenden Blicken standhalten und den Anführer mimen. Glaubt nicht an Wunder, glaubt nur an mich, hatte er ihnen eingebläut. Er war ein besserer Lügner, als er sich jemals zugetraut hatte. Nur noch ein Wunder konnte sie retten. Wie naiv, wie selbstherrlich waren sie gewesen, Männer aus dem Süden, aus Istrien und Dalmatien, für die Nordpolfahrt zu verpflichten. Ihr sonniges Gemüt sollte die Polarnacht zurückdrängen. Unfug! Die Grenze zwischen Mensch und Tier war nur eine warme Decke und eine heiße Mahlzeit breit. Die Meuterei und die Apokalypse der 38,39 mal 7,30 Meter messenden Welt lagen nur ein einziges Fehlverhalten des Kommandos entfernt.
    Weyprecht schlug das zerlesene Buch auf und

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