Macht: Thriller (German Edition)
einen Crashkurs in Museumsgeschichte inklusive Führung versprochen hatte. Sie hatte aber nicht lange Zeit, weil sie bis voraussichtlich spätnachts an einem Artikel für einen Sammelband schreiben müsse, dessen Abgabetermin morgen fällig wurde. Sieh an, sieh an! Am Abend werden die Faulen fleißig … Aiakos lehnte sich zurück und bekam Lust, in die gemeinsamen Aktivitäten von Thorpe und Moosbrugger reinzuhören. Es raschelte und krachte. Das BlackBerry sendete aus Thorpes Jackettasche. Aiakos spitzte die Ohren und erhaschte Stimmengewirr und Steintreppensteigen. Er schaltete die Übertragung wieder ab, runzelte die Stirn und formte ein Dach aus seinen Fingern. So hatte das überhaupt keinen Sinn, er verstand kein einziges Wort. Er musste sich nolens volens selbst ein Bild machen, was der Amerikaner und die Archivmotte im Schilde führten.
Aiakos stieg aus und öffnete den Kofferraum. Er wühlte sich durch Jacken, Hosen und Schuhe bis zu einem kleinen Koffer durch. Er schnalzte die Verschlüsse auf. Nicht alles, das »Horch und Guck« entwickelt hatte, war Grütze. So einiges konnte man von den Damen und Herren von der Stasi auch heute noch gebrauchen, man musste es nur ein wenig modernisieren und verbessern.
34
T horpe legte den Kopf in den Nacken. Er blickte durch die kreisrunde Ausnehmung im Gewölbe in die stuckgeschmückte Kuppel des Naturhistorischen Museums hinauf. Zwischen den Porträtmedaillen, den kaiserlichen Wappen und Zierfiguren entdeckte er einen Affen, der einem Putto den Spiegel vorhielt. Der Knabe verzog angewidert das Gesicht. In der Medaille daneben das Profil Charles Darwins, des Vaters der Evolutionstheorie. Thorpe grinste. Die Wahrheit machte kaum jemandem Freude. Kindergruppen wuselten an ihm vorbei und heute kam ihm das Naturhistorische Museum weit weniger bedrohlich als gestern vor. »Brüll mich nicht so an«, sagte er zu dem Präparat eines jungen Löwen, das die Vorderpranken erhoben das Maul aufriss, und folgte Moosbrugger die imposante Treppe nach oben. Vor einem Ölgemälde im Halbstock blieb die Frau stehen.
Im Zentrum des Gemäldes saß ein eher rundlicher Mann in der Mode des achtzehnten Jahrhunderts. Er trug weiße Kniestrümpfe, Rock und Weste, beides reich mit Gold bestickt. Der Adelige hielt eine Lupe in der Hand. Auf dem Tisch vor ihm und in den prunkvollen Schaukästen in seinem Rücken waren Sammlungsobjekte dargestellt, Mineralien, Münzen und anderes. Vier weitere Herren umkreisten dienstfertig seine Person. Ihre untertänige Haltung konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie selbst zu ihrer Zeit bedeutende Köpfe gewesen waren. Und doch nichts im Vergleich zu dem Mann im Bildmittelpunkt.
» Who is that guy? «, erkundigte sich Thorpe und trat näher.
»Das ist das Kaiserbild .« Moosbruggers Ausdruck bekam eine eigentümliche Note. Eine Mischung aus Stolz und Auskunftsbereitschaft. »Das Bild wurde von Maria Theresia in Auftrag gegeben. Es zeigt ihren Gemahl, Kaiser Franz I. Stefan von Lothringen, umringt von den Vorständen seiner Hofinstitute und Sammlungen. Franz Stefan ist ein leidenschaftlicher Naturwissenschaftler und Sammler gewesen. Unter anderem begründete er den Tiergarten Schönbrunn und den Botanischen Garten. Er finanzierte auch die ersten Expeditionen nach Übersee.« Moosbruggers Augen glänzten und sie machte einen Schritt zurück.
Thorpe konnte sich eines Lächelns nicht erwehren. Wenn er es nicht besser gewusst hätte, hätte er aus Moosbruggers Rede schließen können, dass sie in den Kaiser verliebt war. Oder in die Möglichkeiten, die zu seiner Zeit in ihrem Land für die Wissenschaft zur Verfügung gestanden hatten.
Moosbrugger fuhr unbeirrt fort: »Mit Franz Stefan auf dem Kaiserbild zu sehen sind: Jean Baillou als Vorstand des Naturwissenschaftlichen Kabinetts; Van Swieten, als Leiter der Bibliothek; Duval vom Münzkabinett und Marcy, der Vorstand des physikalisch-astronomischen Kabinetts. Leider nicht zu sehen ist Ignaz von Born, das Vorbild für den Zarastro in Mozarts berühmter Mysterien-Oper › Die Zauberflöte ‹ . Von Born erstellte ein lateinisches und deutsches Verzeichnis der Muscheln und Schnecken, von denen Sie einige hier auf dem Gemälde entdecken können. Überhaupt sind sehr viele dargestellte Objekte auch heute noch in den Beständen des Museums. Zum Beispiel dieser Felsbrocken unter der Lupe des Kaisers. Das ist ein Eisenmeteorit aus Hraschina, Kroatien. Kroatien war Teil des Reiches, und Franz Stefan bekam den
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