Macht: Thriller (German Edition)
sind schon richtig organisierte Banden. Die Zeitungen sind voll davon.«
38
S topp!« Wotruba wälzte sich aus dem Sofa. »Wenn ich eine Schüssel Buchstabensuppe esse, scheiße ich bessere Argumente!« Er stellte sich zwischen Udo und Josephine. »Wenn ich meine bescheidenen Kenntnisse als Kriminalist in die Causa einbringen dürfte, wäre ich den zwei Streithanseln sehr dankbar.«
In Gabriel Fuchs’ Büro machte sich eisiges Schweigen breit.
Josephine schob ihre Unterlippe vor und funkelte Udo an. Nur wegen ihm musste sie sich wie ein Mädchen fühlen, dessen Kindergartenzank kurz vor dem Erbeuten des Spielzeugs abgeblasen worden ist.
»Na alsdann, geht doch.« Wotruba grinste zufrieden. »Also, ich kann euch eines aus dem Fundus meiner Erfahrungen sagen: Die Kollegen haben schon Fälscherwerkstätten ausgehoben, dagegen wirkt die Herstellung so einer mittelalterlichen Handschrift wie Pipifax, und das Erfinden einer Schablone wie ein Schaaß im Wald. Glaubt mir, da draußen rennen Genies mit einer kriminellen Energie herum, da bleibt euch allen die Spucke weg. Ihr habt keine Vorstellung davon, wie viel Grips die aufwenden, um das schnelle Geld zu machen. Die Hacker und Cyberpunks haben Computerprogramme geschrieben, da haben sich die Sicherheitstechniker der großen Firmen angebrunzt, und die arrivierten Mathematiker sind grau geworden. Im Klartext: Wenn mir die Frau Doktor sagt, mit so einem Buch hätte man mit etwas Aufwand ein Vermögen ergaunern können, sage ich: Klingt plausibel. – Aber wisst ihr was? – Das ist mir scheißegal! – Es ist mir völlig wurscht, ob dieses Voynich-Dingenskirchen da echt ist oder nicht! Das einzige, was mich interessiert ist, wer hat deswegen Gabriel Fuchs, die arme Sophie, den alten Pogitsch und sechs Beamte über die Klinge springen lassen? Dem Fälscher oder Nichtfälscher kann ich nicht mehr die Acht verpassen, der spielt längst die Harfe und singt Halleluja! Aber dem Mörder schon! Also streitet lieber darüber, was das ganze Zeugs da im Hirn des Killers zu bedeuten hat, oder ob es mit der ganzen Sache überhaupt etwas zu tun hat!« Er donnerte die Faksimileseiten zurück in die Schachtel und setzte sich wieder auf die Couch.
»Ich gebe Ernstel Recht!« Gernot zündete sich eine Zigarette an. »Man darf über alldem aber nicht vergessen, dass der alte Wilfrid Voynich selbst ein windiger Hund gewesen ist. Die Echtheit seines Buches ist schon zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts angezweifelt worden. Aber auf gänzlich anderer Grundlage.«
»Du kennst den Kerl auch?« Wotruba riss die Augen auf.
»Gabriel war mein bester Freund. Ich habe gewusst, womit er sich beschäftigt hat. Wir hatten keine Geheimnisse …« Gernot verstummte. Mindestens in diesem Punkt hatte er sich getäuscht. Eine Fehleinschätzung, ein Irrtum, der Menschen das Leben gekostet hat. Ebenso tödlich, wie sich als Juden für Ungarn zu halten wie seine Großeltern. Gernot rieb die Hände über seine Jeans. Wie auch immer. »Dieser Buchhändler und Antiquar, Voynich, ist zeitlebens mit einem Fuß im Kriminal gestanden. Voynich war Pole. Zur Zeit der Dreiteilung Polens zwischen Österreich, Preußen und Russland ist er Mitglied der nationalpolnischen Unabhängigkeitsbewegung geworden. Leider hat er das Pech gehabt, im russischen Teil zu leben. Er ist in ein Straflager gekommen. Nach Sibirien. Im Exil hat er den Kontakt zu den Widerstandskämpfern in der Heimat aufrechterhalten. Der englische Geheimdienst hat ein Dossier über Voynich und seine Aktivitäten angelegt. Man wusste, dass ihm quasi jedes Mittel recht gewesen ist, um die polnische Sache zu fördern. Das Manuskript hat er den Patres in Frascati abgeluchst. Mehr noch, Voynich hat die Jesuiten absichtlich im Unklaren darüber gelassen, was er bei ihnen in der Villa Mandragone gefunden hat. Manch einer hat sogar behauptet, er hätte den Fund gar nie bezahlt, sondern gestohlen. Er hat das Buch niemals verkaufen können.«
»Klar, welcher seriöse Sammler und Händler will sich schon eines bedenklichen Ankaufs oder der Hehlerei verdächtig oder gar strafbar machen.« Wotruba nickte.
»Oder eine Fälschung erwerben!« Josephine warf Udo einen frostigen Blick zu.
»Genau!« Gernot stand auf und marschierte auf und ab. »Aber so richtig stutzig ist der englische Geheimdienst erst geworden, nachdem sie draufgekommen sind, dass Voynichs Haus die Adresse für konspirative Treffen gewesen ist. Treffen bis dato ungeklärten Inhalts.«
Udo
Weitere Kostenlose Bücher