Macht und Rebel
dürfen keine Ahnung haben, wohin der Sinn verschwunden ist …«
»Wohin der Sinn verschwunden ist?«
»Thomas, ich glaub, ich hab eine Idee. Ich brauche nur ein bisschen Zeit. Und die Erlaubnis, euren Firmennamen zu verwenden, wie ich es für erforderlich halte. Geht das in Ordnung?«
»Hmm … haben wir eine andere Wahl?«
»Nein. Ich rufe wieder an, sobald ich was habe. Morgen oder so.«
Der dritte Zufall dieses Sonntags sieht so aus:
Rebel betritt nach der Suff-Dope-Sex-Nacht mit der streng genommen dreizehnjährigen Thong den Eingangsbereich seines Wohnblocks; dank der körperlichen Suff-Dope-Sex-Nachwirkungen und mancher psychischer Anstrengung ist er derart dizzy, dass ihm die sich bereits langsam schließende Fahrstuhltür entgeht, was nur eins bedeuten kann, nämlich dass schon jemand im Aufzug drin ist, und wenn man nun noch Rebels Trefferquote in Punkto Fahrstuhlbegegnungen einrechnet – die eigentlich wörtlich dem Schwartzhouse'schen Satz gehorcht: »Die Chance, jemandem über den Weg zu laufen, dem du nicht begegnen willst, ist umso größer, je kleiner deine Lust dazu ist« so kann nur einer in der Kabine stehen und sein stinkendes Pazifistengrinsen zur Schau tragen. Ja, und da ist er auch pünktlich: KING OF ANALINGUS.
»Tach, Rebel! Kommst'n du her? Hä? Siehst ja BLENDEND aus. Ha, ha.«
Rebel schaut auf den Kabinenboden, außerstande zu antworten. Folgendes ergießt sich aus dem Mund des KING OF ANALINGUS:
»Was, Rebel, das ist doch paradox, oder, dass gesunde westliche junge Menschen wie du sich faktisch dafür entscheiden, sich kaputtzumachen, bis sie, wie sollen wir's nennen? Ja, bis sie völlig hinüber sind. Oder? Ich hab da drüber nachgedacht. Früher hat man Gesundheit und Leben dem VATERLAND geopfert, nicht? Das war irgendwie total edel und mutig, nicht. Die heutigen Staatsbürger sind nicht feiger als damals, das ist es nicht. Sie haben nur andere Prioritäten. Heute opfern sie Gesundheit und Leben sich selbst. Es ist nicht mutiger, als Untergrundkämpfer herumzulaufen, als sich jedes Wochenende Crystal Meth reinzupfeifen. Ehrenvoller, wenn man den alten Begriffen folgt, das ja, aber mutiger nicht. Die Leute opfern sich für das auf, woran sie glauben. Das wird immer so sein. Gestern haben sie ans Vaterland geglaubt. Heute an ihre Nase. Oder so.«
Rebel erblasst, ihm wird übel, er versucht, an etwas zu denken, das ihn von KING OF ANALINGUS' Stimme ablenkt, aber das ist praktisch unmöglich. Ganz offenbar gilt für ihn auch der Hammerskov'sche Satz: »Je weniger Lust du hast, jemanden reden zu hören, desto schlimmer wird sein Sprechdurchfall«, denn als die Fahrstuhltür sich öffnet, packt KING OF ANALINGUS Rebel an der Jacke und redet in einem fort weiter:
»Und bei genauerer Betrachtung stellt man fest, dass der Mensch an jedem Ende der Gesellschaftsskala in dasselbe Reaktionsmuster fällt. In Kriegs- und Friedenszeiten. In Wohlstand und Not. Verstehst du? Nicht wahr, Länder, in denen Krieg herrscht, produzieren Flüchtlinge. So weit bekannt. Aber in westlichen Überflussgesellschaften, oder nennen wir sie õDemokratienã, warum nicht, ist die Situation eigentlich dieselbe. Warum? Okay, überleg doch mal selbst. Was ist die wichtigste Ware des Westens? Eskapismus! Welche ist die größte Industrie? Die Traumindustrie! Im Nahen Osten oder sonstwo stehen die Leute Schlange, um außer Landes zu kommen, und bei uns stehen sie Schlange, um ins Kino zu kommen. Sagen wir's mal so, Rebel: Wir sind alle miteinander Asylbewerber im Traumland.«
Rebel denkt rasch, die einzige gegen die bevorstehende Depression wirksame Medizin ist dieselbe wie gestern, nämlich Adolf Hitler, also schließt er seine Wohnungstür auf, ohne ein Wort zu seinem Nachbarn zu sagen, und fängt an, die Sachen zu suchen, die er gestern geschrieben und ausgedruckt hat, findet sie aber nicht und kommt zu dem Schluss, dass er sie wohl im beginnenden Suff auf Fottis Klo liegen gelassen hat. Er flucht, beruhigt sich aber wieder, denn Fotti findet sie ganz sicher nicht, oder wenn, dann begreift sie nichts davon, also beschließt er, ein paar weitere Hitlerreden runterzuladen, um seine Suff-Dope-Sex-Nerven wieder auf Vordermann zu bringen, und während er sich einloggt, schon zum zweiten Mal innerhalb von zwei Tagen, wahrscheinlich sein Rekord im Gebrauch seines Hassobjekts Nummer eins, des Internets, macht seine Mailbox »Pling«, was ebenso ein Wunder ist, denn kein Mensch hat Rebels Mailadresse. Und sieh mal
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