macht weiter
gearbeitet hat. Warum?« »Ich könnte schwören, daß ich vor wenigen Minuten jemand
auf dem Dach gesehen habe.« Er runzelte die Stirn. »Zwar ist es
draußen sehr finster, weil der Mond nicht scheint, aber
trotzdem... Die Sache gefällt mir nicht.«
»Und Sie möchten sich umsehen«, sagte sie beifällig. »Aber
vorher... es ist wirklich eine Fügung, daß ich Sie treffe, Marcel.
Haben Sie einen Augenb lick für mich Zeit?«
»Eine ganze Ewigkeit! Kann ich etwas für Sie tun?« »Ja. Kennen Sie Hafez?«
»Mon Dieu, wer kennt den nicht?« seufzte er und verdrehte
die Augen.
»Er macht einen ganz verstörten, ja, verängstigten Eindruck
auf mich. Vor einer Stunde habe ich versucht, seine Großmutter
zu besuchen, um mit ihr über ihn zu sprechen. Aber zwei
Männer haben mich gepackt und gewaltsam hinausbefördert.« Marcel hatte begriffen. »Einen Moment-die Gäste aus
Zabya«, sagte er. »Sie bewohnen die Zimmer 150,152 und 154.
Mit Ausnahme des Jungen und des Dienstmädchens essen alle
auf dem Zimmer. Ich selbst habe einmal oben serviert, bin aber
nur auf 154 gewesen. Dort hat mir ein Mann das Tablett
abgenommen.« Er schloß die Augen. »Wie heißen die Leute
doch bloß? Ja, ich hab's! Madame Parviz und Enkel Hafez,
Serafina Fahmy, und Fouad Murad und Munir Hassan. Weiter
weiß ich nichts. Sie sind nicht interessant für uns, weil sie erst
nach Frasers Tod hier angekommen sind.«
»Wissen Sie das genau?«
»Absolut, Madame. Sie sind am selben Tag eingetroffen, kurz
nach Frasers Unfall, sind aber am kritischen Zeitpunkt noch
nicht hier gewesen. Aber natürlich werde ich mich erkundigen.« »Ja, bitte, tun Sie das. Und noch etwas: Wann kann ich in die
Küche?«
Sein Blick fiel auf ihre Schmuckkassette, und er lächelte.
»Aha, verstehe. Aber heute geht's nicht. Morgen, Samstag, ja.
Da wird niemand mehr dort sein.« Er warf einen Blick zur
Treppe. »Ich muß gehen. Geben Sie mir einen Vorsprung von fünf Minuten, um am Nachtportier vorbeizukommen. Eigentlich hat mein Dienst vor vier Stunden geendet, und ich sollte längst
im Dorf sein. Ich wohne dort.«
Er schlich zur Treppe, horchte, dann gab er ihr einen Wink
und verschwand.
Nachdem sie einige Minuten gewartet hatte, ging sie langsam
und todmüde die Treppe hinauf, die ins Vestibül führte. Diesmal
allerdings hatte sie kein Glück. Der Nachtportier saß da und
blätterte in einer Zeitschrift. »Madame!« sagte er vorwurfsvoll.
Dann folgte ein französischer Wortschwall.
»Ich habe jemanden gesucht, der meinen Schmuck
wegschließen kann«, sagte sie schlagfertig, zog den Anhänger
aus ihrer Tasche und legte ihn aufs Pult. »Beim Zähneputzen
habe ich die Hausordnung gelesen - im Badezimmer, wissen Sie,
daß alle Wertsachen im Hotelsafe zu deponieren sind. Natürlich
habe ich da keine Ruhe mehr gehabt.«
Er verstand Englisch und nickte, konnte aber kaum den Blick
von den funkelnden Smaragden trennen. »Aber, Madame, ich
habe keinen Safe-Schlüssel. Nur der Chefportier... Tut mir
furchtbar leid. Aber sieben Uhr früh ist er wieder da.« »Ach. Na schön.« Sie steckte den Anhänger wieder ein. »Also
dann, bon soir.«
»Ja, Madame - und versuchen Sie, wenigstens ein bißchen zu
schlafen, ja? Um sieben ist er hier.«
Sie nickte, ging zum Lift und wählte Etage III. Als sie auf ihr
Zimmer zuging, gab es noch eine Überraschung. Hafez stand da
und beobachtete sie. Er war zu weit entfernt, als daß sie sein
Gesicht hätte deutlich sehen können. Er stand einfach da, ohne
sich zu rühren, und plötzlich hatte er sich umgedreht und war
wie vom Erdboden verschwunden.
Es war fünf Minuten nach Mitternacht. Das Sanatorium
schien ein heimliches, aber intensives Nachtleben zu führen. Sie sperrte die Tür ab, stieg ins Bett, stellte zufrieden fest, daß
sie zumindest einen Anfang gemacht hatte, und schlief ein. Sie
träumte, daß sie durch ein Gewirr dunkler Räume wanderte,
einer kälter als der andere. Schließlich war sie in einer eiskalten
Halle gelandet... Mrs. Pollifax bewegte sich unruhig im Schlaf. Sie schlug die Augen auf. Ein kalter Wind hatte sich erhoben
und blies durch die Balkontür. Sie konnte sich entscheiden, ob
sie aufstehen und die Tür schließen, oder aufstehen und sich
nach einer zweiten Decke umsehen wollte. Zu beidem fehlte ihr
die Energie. Sie wollte nichts als schlafen. Während sie
verärgert und unschlüssig dalag, fiel ihr plötzlich ein, daß sie die
Balkontür doch gar nicht offengelassen hatte. Im Gegenteil, sie
erinnerte sich ganz deutlich; sie
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