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macht weiter

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Titel: macht weiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy Gilman
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ich liebe banale und gewöhnliche Geschichten.« »Na, bitte, wenn Sie darauf bestehen.« Er zuckte geringschätzig die Achseln. »Also, um ganz ehrlich zu sein, ich heiße nicht nur nicht Burke-Jones, sondern bin obendrein auch noch der Sohn eines Schlossers. Aus Soho. Unterstes Milieu. Mein Vater nahm mich in die Lehre. Mit fünfzehn konnte ich das komplizierteste Schloß öffnen.« Er seufzte. »Mein Vater hat nur ein einzigesmal eine Gaunerei begangen. Weil er das Geld bitter nötig hatte. Jemand bot ihm ein kleines Vermögen dafür an, ein Safe zu öffnen und - tja, er wurde gefaßt und ist im Gefängnis gestorben. An der Schande, nehme ich an. Und diese Geschichte, verehrte gnädige Frau, ist bei mir zu einem Komplex geworden... verdrängter Haß, Wut, wie Sie wollen.«
»Das Leben ist oft ungerecht«, bestätigte sie. »Dann war Ihr Motiv also die Wut?«
»Die typische Reaktion eines unreifen Jungen«, gab er zu, »aber nicht unwirksam. Ich verließ die Schule, kratzte meine spärliche Barschaft zusammen und beschloß, ein neues Leben zu beginnen. Mein erster Schritt führte mich in eine Schauspielschule. Oxford oder Eton interessierten mich nicht. Hamlet übrigens auch nicht. In der Scha uspielschule lernte ich anständig sprechen und mich bewegen. Dann fuhr ich, mit gepumpter Garderobe ausgestattet, an die Riviera und machte meinen ersten Raubzug. Mit der Zeit verrauchte die Wut, aber inzwischen war ich bereits so gut in meinem Beruf geworden, daß es eine Schande gewesen wäre ihn aufzugeben. Außerdem kann ich sonst auch nichts.«
»Überspezialisierung.« Mrs. Pollifax nickte mitfühlend.
»Und wohl auch Spaß am Nervenkitzel«, gab er zu.
»Wissen Sie«, meinte sie kindlich, »ich habe mir schon oft gedacht, daß Kriminelle und Polizisten sehr viel gemeinsam haben. Der einzige Unterschied besteht darin, daß sie in zwei feindliche Lager geteilt sind.«
Er sah sie forschend an. »Sie haben ziemlich ausgefallene Ansichten.«
»Ich finde bloß, daß Sie unschätzbare Talente besitzen«, sagte sie nachdenklich.
»Die ich sofort in die Tat umsetzen muß, wenn ich den Brillantring noch vor Morgengrauen zu Lady Palisbury zurückbringen soll. Werden Sie die Polizei wirklich nicht verständigen?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Und Sie lassen mich ungehindert gehen?«
»Betrachten Sie sich als freien Menschen.«
Er streckte ihr die Hand entgegen. »Ich muß schon sagen, es war wirklich ganz reizend. Ungewöhnlich vielleicht, aber reizend.«
»Das finde ich auch.« Mrs. Pollifax erhob sich und sah ihn freundlich an. »Welche Tür wählen Sie denn für Ihren Abgang?«
»Am sichersten fühle ich mich auf dem Weg, den ich gekommen bin«, erklärte er. »Und falls ich umgekehrt auch mal etwas für Sie tun kann - mein Zimmer liegt direkt über dem Ihren. Zimmer 213.«
»Nummer 213«, wiederholte sie, und schon war er über den Balkon geklettert und verschwunden.

8
    Am nächsten Morgen kam der Kurarzt zu ihr, ein großer, polternder Mann namens Lichtenstein. Nachdem er Mrs. Pollifax abgeklopft und abgehorcht hatte, verordnete er einen Stoffwechseltest, eine Lungendurchleuchtung, drei Blutproben und ein Elektrokardiogramm.
    »Soviel Umstände wegen einer Hongkonggrippe«, protestierte sie.
»Bei Ihrem Alter«, sagte er unfein und ergänzte mit einem Achselzucken: »Und wozu sind Sie schließlich hier?«
Darauf antwortete Mrs. Pollifax nichts, aber so viel Selbstverleugnung auf einmal konnte sie nicht aufbringen.
»Übrigens sind Sie sicher der einzige, der mir sagen kann, wie es Madame Parviz heute geht«, meinte sie beiläufig. »Gestern abend fühlte sie sich nicht wohl genug, mich zu empfangen.« Der Arzt sah sie verständnislos an. »Hafez' Großmutter«, erklärte sie.
»Hafez?« Er wandte sich an die Krankenschwester, die ihm die Frage ins Französische übersetzte.
»Oh, Sie meinen die Leute aus Zabya. Da kann ich Ihnen leider keine Auskunft geben, Madame Pollifax, die haben sich ihren eigenen Arzt mitgebracht.«
Mrs. Pollifax spielte die Überraschte. »Das lassen Sie zu? Ist das denn nicht sehr ungewöhnlich?«
»Natürlich bin ich dagegen«, gab er zu. »Aber manchmal kommt so was vor. In einem Sanatorium macht man gewisse Zugeständnisse, verstehen Sie? Es wird ausschließlich vom Aufsichtsrat geleitet.«
»Dann wissen Sie also gar nicht, weshalb die Leute hier sind?«
Lichtenstein blieb an der Tür stehen. »Angeblich ist sie eine sehr alte erschöpfte Dame, die noch einmal die Schweiz sehen wollte, aber keine

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