Machtlos
Valerie zu. Ganz dicht trat er an sie heran. So dicht, dass sie trotz des Windes an Deck seinen Atem riechen konnte. »Das machen wir mit diesen arabischen Kameltreibern, wenn sie unsere Frauen anfassen«, sagte er leise. »Und als Nächstes wirst du erfahren, was wir mit unseren Frauen machen, wenn sie sich von diesen Kameltreibern anfassen lassen.«
Burroughs badete zu sehr in seinem Triumph, um die Veränderung in Valeries Augen zu bemerken, den Zug, der sich um ihren Mund legte. Die Angst der vergangenen Tage und das Entsetzen über Safwans Hinrichtung kanalisierten sich in einer plötzlichen kalten Wut. Sie zog das Knie an und trat mit aller Kraft, die ihr noch verblieben war, zu. Burroughs starrte ungläubig, wurde blass und sackte in sich zusammen. Die nächsten Sekunden schienen endlos. Burroughs rührte sich nicht. Niemand an Deck rührte sich, bis sich der Amerikaner langsam wieder aufrichtete. Das Grinsen war aus seinem Gesicht verschwunden. Er fackelte nicht lang. Er schlug einfach zu. Valeries Kopf schien zu explodieren. Sie keuchte und ging in die Knie. Gnädige Schwärze hüllte sie ein.
Als sie aufwachte, wusste sie nicht, wo sie war, was geschehen war. Sie fühlte sich seltsam distanziert. Von sich selbst und von ihrer Umgebung. Ihre Kehle war rauh und schmerzte beim Schlucken. Sie wandte den Kopf zur Seite.
Sie war nicht mehr in ihrer Zelle.
Durch ein vergittertes Fenster blickte sie auf einen großen kahlen Baum. Dahinter erstreckte sich ein weiteres Gebäude. Sie lag in einem Bett. Als sie versuchte, sich aufzurichten, musste sie feststellen, dass sie mit Gurten fixiert war und sich nicht bewegen konnte. Gleichgültig ließ sie ihren Kopf wieder auf das Kissen sinken und starrte an die weiße Decke.
Ochsenzoll.
Sie haben dich in die Psychiatrie nach Ochsenzoll gebracht. Da bringen sie alle Häftlinge hin, die durchdrehen. War sie durchgedreht? Sie konnte sich nicht erinnern. Erschöpft schloss sie die Augen und schlief wieder ein.
Es war Mayers Stimme, die sie weckte.
»Wie lange schläft sie schon?«
»Seit ihrer Ankunft gestern«, sagte eine Frauenstimme, dem Dialekt nach geborene Hamburgerin.
»Ich muss mit ihr sprechen.«
»Das muss der Arzt entscheiden.«
Valerie hörte, wie die Tür geschlossen wurde. Es dauerte jedoch nicht lang, bis sie wieder geöffnet wurde. Jemand schaltete das Licht ein, dann näherten sich Schritte ihrem Bett. Ein Anflug von Panik überkam sie. Sie war noch immer mit Gurten festgeschnallt und konnte sich kaum rühren.
»Frau Weymann?«
Sie atmete erleichtert auf, als sie Mayers Stimme erkannte.
»Warum haben Sie das getan?«, fragte er und trat zu ihr. »Warum sind Sie mit Safwan Abidi geflohen, statt ihn uns auszuliefern?«
Was sagte er da? Was hatte sie getan?
Safwan …
Sie hatte Safwan Abidi seit drei Jahren nicht gesehen. Oder doch? Sie runzelte die Stirn. Etwas nagte am Rande ihres Bewusstseins. Und dann sprang die Tür auf. Plötzlich war alles wieder da. Das Treffen mit Safwan im Konsulat. Die Flucht mit dem Boot. Das Schiff. Burroughs. Tränen sprangen ihr in die Augen. Sie sah zu Mayer. »Warum bin ich hier? Was ist passiert?«
Er antwortete nicht sofort, sondern zog sich einen Stuhl heran und setzte sich, so dass sein Gesicht beinahe auf einer Höhe mit ihrem war. »Wir haben Ihnen Ihren verdammten eigensinnigen Hals gerettet«, sagte er sehr leise. »Wenn es nach unseren amerikanischen Kollegen gegangen wäre, säßen sie jetzt in einem Flugzeug auf dem Weg nach Nirgendwo.«
Sie schluckte.
»Und jetzt beantworten Sie meine Frage. Warum sind Sie mit Abidi geflohen, statt sich an unsere Vereinbarung zu halten?«
»Safwan Abidi ist nicht der Mann, den Sie suchen.« Sie konnte Safwan nicht wieder lebendig machen, aber sie konnte zumindest seinen Namen rehabilitieren. »Er hat weder etwas mit dem Anschlag in Kopenhagen noch mit dem am Dammtorbahnhof zu tun.«
Mayer starrte sie an, als wäre sie verrückt geworden. »Sie haben die Beweise gesehen. Das Foto.«
Valerie ließ sich nicht beirren. »Seiner Aussage nach sind auch Mahir Barakat und Noor al-Almawi unschuldig. Sie haben sich in Kopenhagen mit Safwan getroffen, weil sie ihn bitten wollten, ihr Trauzeuge zu sein. Es war reiner Zufall, dass dieses Treffen im Vorfeld des Anschlags stattfand.«
Mayer stand auf und begann im Raum auf und ab zu gehen. Schließlich trat er wieder an ihr Bett. »Das glauben Sie doch selbst nicht, was Sie mir da erzählen. Haben Sie Beweise
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