Machtlos
antworten, denn in diesem Moment flog die Tür auf, und der junge Konsulatsangestellte stürzte herein. Er starrte Safwan mit weit aufgerissenen Augen an und stieß hastig einige Sätze auf Arabisch hervor.
»Wir müssen weg«, sagte Safwan darauf nur. »Sofort.«
Sein Tonfall war so bestimmt, dass sie gar nicht daran dachte zu widersprechen, die Hand ergriff, die er ihr reichte, und den Männern eilig über den Flur zu einer Hintertreppe folgte. Die beiden redeten leise und schnell und umarmten sich, bevor der Konsulatsangestellte die Tür hinter ihnen schloss.
»Was, um Gottes willen, ist passiert?«, wollte Valerie wissen, während sie die Treppe hinunterrannten.
»Der Konsul hat soeben aus Damaskus den Auftrag erhalten, uns an die Vertreter der US -Regierung hier in Hamburg auszuliefern.«
»Aber …«
»Später, Valerie. Wir müssen hier erst einmal raus.«
»Der junge Mann …«
»Der Sohn eines Cousins meiner Mutter. Ihm wird nichts passieren.«
Über diese Verbindung war Safwan also ins Konsulat gekommen. Valerie hatte so etwas bereits vermutet. Die Verwandtschaften der Familien im Nahen Osten waren weitläufig.
Irgendwo über ihnen wurde eine Tür geöffnet. Stimmen hallten zu ihnen herunter. Safwan legte in einer eindeutigen Geste den Finger über die Lippen und zog sie in einen Türeingang. Atemlos verharrten sie, bis die Stimmen verklangen und Safwan ihr ein Zeichen gab, dass sie weiter mussten. Augenblicke später waren sie im Erdgeschoss angelangt. Safwan blickte durch ein schmales Fenster hinaus auf einen Hinterhof. Eine warnende Stimme meldete sich in Valerie.
»Wir sollten da nicht raus«, flüsterte sie.
»Ich weiß«, gab Safwan zurück und presste sich gegen die Wand, als draußen jemand vorbeiging. Valerie konnte nur einen Schemen erkennen.
»Siehst du dort drüben das Haus?« Ihr Blick folgte Safwans ausgestrecktem Zeigefinger. »Es hat einen Zugang zu dem dahinterliegenden Kanal. Ein Boot liegt dort. Im Hafen wartet ein syrischer Tanker. Er läuft in einer Stunde aus.«
Valerie bekam eine Ahnung davon, wie Safwans Leben in den vergangenen Wochen ausgesehen haben musste. Immer auf dem Sprung. Immer unter Strom.
»Es gibt eine Tiefgarage«, fuhr er leise fort. »Sie ist noch im Bau. Sie verbindet die Gebäude miteinander.«
Valeries Herz klopfte ihr bis zum Hals, als sie Safwan die Stufen ins Untergeschoss folgte. Er zog einen Schlüssel aus der Tasche und schloss die Stahltür auf. Der Geruch von frischem Beton schlug ihnen entgegen, zusammen mit eisiger Kälte. Eckige Säulen ragten im Halbdunkel empor, dazwischen lagen Kabelrollen und Baustahl. Das einzige Geräusch, das zu hören war, war das stete Tropfen von Wasser. Das Unbehagen, das Valerie schon immer auf Parkdecks verspürt hatte, erhielt eine neue Dimension.
»Ich kann das nicht«, flüsterte sie.
»Valerie, bitte …«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich kann nicht mit dir weggehen, Safwan. Ich habe eine Familie. Ich …«
Er zog sie in seinen Arm und drückte sie an sich. »Haben wir das alles nicht schon vor drei Jahren hinter uns gelassen?«
»Du erwartest nichts von mir?«
»Nein, Valerie. Nichts, was du mir nicht freiwillig geben würdest.«
Welche Alternative hatte sie, wenn sie blieb? Die Auslieferung an die Vertreter der US -Regierung? Dahinter verbarg sich niemand anderes als Robert F. Burroughs, der für sie längst zu einem Synonym für Willkür und Gewalt geworden war. Ihre Chancen zu überleben standen vermutlich besser, wenn sie Safwan begleitete.
Sie blinzelte in das Licht, das sich in dem Kanal brach, und zitterte am ganzen Körper vor Kälte und Aufregung. Ein kleines offenes Boot schaukelte an einem Seil, das direkt an der Hauswand vertäut war. Mit sicheren Griffen löste Safwan den Knoten, sprang in das Boot und startete den Motor, dessen Geräusch im Lärm der nahen Großbaustelle unterging.
»Komm!«, drängte er. »Schnell!«, setzte er nach, als er bemerkte, dass Valerie erneut zögerte. Etwas in ihr sträubte sich, hielt sie zurück. Trotzdem kauerte sie sich ins Boot und wickelte sich fester in ihren kurzen Mantel. Sie wagte nicht, sich umzusehen, als sie durch den Sandtorhafen und an der Baustelle der Neuen Elbphilharmonie vorbei in die Norderelbe schoss. Jeden Augenblick erwartete Valerie, ein Fahrzeug der Wasserschutzpolizei zu sehen, das auf sie zuhielt und sie zum Beidrehen zwang. Aber niemand störte ihre Flucht. Es war bitterkalt auf dem Wasser, und das Tempo des Bootes,
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