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Machtlos

Machtlos

Titel: Machtlos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Berg
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nachzudenken, schlüpfte Valerie hinein. Dann trat sie an den kleinen Tisch unter dem Fenster, auf dem ein Tablett mit Essen stand. Ein Becher Tee. Sie zog die Vorhänge zu und setzte sich, griff nach dem Becher und trank langsam die heiße Flüssigkeit. Das Essen rührte sie nicht an.
    Kaum dass sie fertig war, kam die Schwester zurück. »Sie müssen jetzt gehen«, sagte sie.
    Valerie nickte. Die Schwester reichte ihr ihren Mantel. Ein uniformierter Polizist trat in den Raum. Gleich darauf schlossen sich Handschellen um ihre Handgelenke. Valerie wehrte sich nicht. Sie folgte ihm durch endlose hell erleuchtete Flure. Manchmal ging eine Tür rechts oder links auf, und Menschen blickten heraus. Die Leere in ihren Gesichtern spiegelte die Leere wider, die Valerie in ihrem Inneren empfand. Als sie das Gebäude verließen, schlug ihnen ein nasskalter Wind entgegen, sie zitterte am ganzen Körper. Der Polizist neben ihr blieb stehen und knöpfte ihren Mantel zu. Er war jünger als sie. Sie versuchte, ihm in die Augen zu sehen, doch er wich ihrem Blick aus.
    Sie warteten. Valerie spürte, wie ihr Begleiter unruhig wurde, auf seine Uhr schaute und schließlich sein Handy aus der Brusttasche seiner Jacke zog. Doch in diesem Augenblick bog ein Polizeifahrzeug um die Ecke. Im Licht der Scheinwerfer tanzten die Schneeflocken. Der Wagen hielt vor ihnen. Gerade als Valerie einsteigen wollte, hörte sie jemanden ihren Namen rufen. Sie kannte die Stimme. Es war –
    »Marc!« Ihre Betäubung war plötzlich wie fortgeblasen. Sie wand sich aus dem Griff des Polizisten und rannte auf ihren Mann zu. »Marc!« Es tat so gut, ihn zu sehen.
    »Halt! Frau Weymann, bleiben Sie stehen, oder ich schieße!«
    Sie hielt abrupt an. Etwas in ihr sagte ihr, dass er sie nicht erschießen würde, aber sie konnte einfach nicht anders.
    Auch Marc verlangsamte seine Schritte. »Valerie, geht es dir gut?« Er war außer Atem.
    Sie nickte nur. »Was ist mit euch?«
    »Alles in Ordnung, mach dir keine Sorgen.« Er war jetzt bei ihr.
    »Herr Weymann, gehen Sie zurück.«
    Er streckte die Hand nach ihr aus. Berührte ihre Finger, das kalte Metall der Handschellen –
    »Ich hab nichts mit alldem zu tun, Marc«, flüsterte sie. »Glaub mir, bitte, glaub mir …«
    Er nickte.
    »Herr Weymann!«
    Er ließ sie los. Trat zurück. Hob seine Hände.
    Valerie spürte den Lauf einer Waffe in ihrem Rücken. Sie wehrte sich nicht, als die Beamten sie zurück zu dem Wagen führten, der mit laufendem Motor auf dem Weg stand. Sie sank auf die Rückbank und presste das Gesicht an die Scheibe, als das Fahrzeug an Marc vorbeifuhr, der erneut seine Hand ausstreckte, als könne er sie durch das Glas hindurch berühren. Als sie sich umdrehte, sah sie, wie er dem Wagen hinterherlief. Dann verschluckte ihn die Dunkelheit. Valerie sank in den Sitz zurück und verbiss sich ihre Tränen.
    Der Wagen verließ das Krankenhausgelände. Als sie auf die Straße einbogen, stellte Valerie fest, dass sie tatsächlich in Ochsenzoll gewesen war, der psychiatrischen Abteilung des Allgemeinen Krankenhauses Nord. Der Fahrer bog Richtung Süden auf die Langenhorner Chaussee ein. Es ging zurück ins Polizeipräsidium. Valerie ließ sich in den Sitz sinken und schloss die Augen. Alles war vergebens gewesen. Nichts hatte sich geändert. Nur Safwan war tot. Und nicht zum ersten Mal fragte sie sich, wie viel Verantwortung sie dafür trug. Wäre er auch gestorben, wenn sie nicht interveniert hätte? Das Medikament, das der Arzt ihr gespritzt hatte, dämpfte auch ihre Trauer. Das Entsetzen über diesen brutalen, schnellen Tod.
    Ich bin angewiesen, Ihre Vernehmungsfähigkeit wiederherzustellen.
    Was würden sie diesmal fragen?
    Der Wagen hielt an einer Kreuzung, und sie lauschte unbeteiligt dem leisen Klacken des Blinkers. Erst als sie merkte, dass das Fahrzeug rechts abbog, schlug sie die Augen auf und richtete sich auf ihrem Sitz auf. Das war nicht der Weg zum Polizeipräsidium. Das war …
    Das weite Gelände des Hamburger Flughafens tauchte vor ihnen auf. Die Auffahrt zu den Terminals war hell erleuchtet. Der Schweiß brach ihr aus.

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    Teil II
    Artikel 5
der Charta der Menschenrechte
der Vereinten Nationen
    Niemand darf der Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden.
    R obert F. Burroughs bemerkte mit einer gewissen Genugtuung, wie Valerie Weymann zurückwich, als sie ihn erblickte. Wie sie hilfesuchend zu dem Polizeibeamten neben

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