Machtlos
unbedingt schnell nachholen. Selbstverständlich beherrscht Narex den entsprechenden Zauber ebenfalls, aber die Durchführung ist mit zwei oder mehr Drachen bedeutend leichter und führt zu besseren Ergebnissen. Bitte macht das in der nächsten Woche. Trotz aller Geschehnisse dürfen wir unsere Hauptaufgabe nicht vernachlässigen.“
26. Gebirgswind
Nachdem Abrexar gegangen war, beschlossen Jaromir und Victoria ihrem Lieblingsplateau im Gebirge einen Besuch abzustatten. Das erste Mal seit fünf Wochen hatten sie wirklich frei. Die Tagespläne waren seit dem Angriff in Laboe ausgesetzt und alle Audienzen abgesagt worden. Und da Hoggi bei Noran war, hatten sie auch keinen Unterricht.
Victoria genoss die grenzenlose Weite, die Sicht auf den See und das herrliche Spätsommerwetter. Der Wind hier oben war zwar kühl aber in ihrer Reitermontur eingekuschelt zwischen Jaromirs Vorderbeinen war es in der Sonne angenehm warm.
Victoria ließ ihren Blick schweifen und dachte: „Die Einsamkeit des Hauses Brookstedt ist nun wohl endgültig vorbei, jetzt, da noch Mandolan und Narex einziehen. Und in Kürze wird auch noch Lexia dazukommen. Außerdem hat Lenir angedeutet, dass er Kerstin ebenfalls am liebsten hier bei sich hätte…“
„Tja, das hätte sich der gute Abrexar vor ein paar Wochen auch nicht träumen lassen, was? Sein Haus entwickelt sich regelrecht zu einem Taubenschlag“ , gab Jaromir belustigt zurück.
„Apropos Abrexar“ , hakte Victoria in Gedanken ein, „was ist denn bitteschön ein «Truchsess»? Jalina hat Abrexar bei der Sondersitzung mehrfach so genannt.“
Jaromir richtete sich etwas auf und begann mit seiner Geometrieerklärstimme: „Der Truchsess war ursprünglich der Vorsteher und oberste Aufseher der königlichen Tafel der Schwarzen. Als der schwarze König während der Torkriege in einem Kampfeinsatz überraschend verschwand, übernahm sein Truchsess, der ebenfalls erster Berater des Königs war, vorübergehend seine Aufgaben bis zu dessen Rückkehr. Doch der König war verschollen und kam nie zurück. Leider hatte er vor seinem Verschwinden keinen Nachfolger benannt, wie es normalerweise bei älteren Königen der Schwarzen üblich war.
So führte der Truchsess jahrelang vertretungsweise die Geschäfte des Königs fort. Er machte seine Sache gut und viele Schwarze wollten den Truchsess nach den Torkriegen zum neuen König ernennen. Doch der weigerte sich mit der Begründung, dass dieses hohe Amt bereits vergeben sei und er noch immer die Rückkehr des Königs erwartete.
Seitdem hat es keinen schwarzen König mehr gegeben. Der Truchsess ging irgendwann in die Nebel und benannte zuvor Abrexar als seinen Nachfolger.“
Victoria drehte sich mit großen Augen zu Jaromir um. „Willst du mir etwa sagen, dass DEIN Mentor so was wie der König der Schwarzen ist?!“
Jaromir grinste breit. „Genau das ist er eben nicht. Er vertritt nur den König, bis dieser zurückkehrt.“
„Hallo?! Geht’s noch?! So, wie ich dich eben verstanden habe, kommt der König nie wieder. Also ist das von der Funktion her dasselbe. Abrexar ist der Obermotz von euch Schwarzen, oder etwa nicht?!“
„Wenn du das so ausdrücken möchtest – ja.“ , gab ihr Gefährte schlicht zurück.
Victoria starrte ihn nur fassungslos an und sagte nichts. Irgendwann murmelte sie: „Und wann wolltet ihr mir das erzählen? Ich meine, das ist doch voll krass!“
Jaromir lächelte. „So krass ist das gar nicht. Für Abrexar hat es keine Bedeutung, denn er macht sich nichts aus Titeln. Er hat immer nur getan, was getan werden musste. Abrexar ist Zeit seines Lebens bestrebt, den Drachen zu dienen und unsere Gesellschaft zum Besseren zu verändern. Er wollte den Titel nicht, aber als der alte Truchsess starb, waren wir Drachen durch die Torkriege noch immer stark geschwächt. Es gab einfach niemand anderen als ihn.“
„Ach“, gab Victoria trocken zurück, „und ganz nebenbei hat er seinen eigenen Geheimdienst … und wenn ich mich recht erinnere: Ist er nicht auch noch der Anführer des Widerstands im Untergrund?“
Jaromir nickte: „Abrexar hat das alles nie beabsichtigt, Victoria. Nach den Torkriegen war er mit so mancher Entscheidung der Goldenen nicht einverstanden. Damals war er ein unbedeutender Jungdrache ohne Fürsprecher. Sein Wort hatte kein Gewicht. Also hat er nach Gleichgesinnten gesucht und gemeinsam begannen sie im Verborgenen Informationen zusammenzutragen, um irgendwann etwas gegen die Goldenen in der
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