Machtlos
Brut verschrieben. Auch nur ein dunkles Wesen in unsere Welt zu lassen, bedeutet, alles zu verraten, wofür ich lebe! Weißt du nicht mehr, welchen verheerenden Schaden diese Monster anrichten? Wie kannst du es wagen, Jalina!“
Die Königin der Goldenen betrachtete Tylarr emotionslos. „Ein Nachtmaar würde im Gebirge gar keinen Schaden verursachen. Ganz im Gegenteil, er bräuchte sogar Proviant, um hier auch nur einen Tag überleben zu können, bevor er dann doch unweigerlich krepiert.“
Tylarr blickte sie fassungslos an.
„Wann habt ihr Roten das letzte Mal einen Einsatz gegen die dunklen Wesen geflogen? Und ich meine einen ECHTEN Einsatz und nicht nur so eine weichgespülte Übung. Habt ihr das auch nur ein einziges Mal irgendwann in den letzten hundert Jahren gemacht, Tylarr?“
Tylarr schüttelte stumm seinen Kopf. Er kochte vor Zorn.
„Das habe ich mir gedacht.“ , entgegnete Jalina eisig. „Ihr seid nicht vorbereitet, wenn die Tore wieder aufbrechen – und sie werden aufbrechen. Davon ist sogar der gute, alte Abrexar überzeugt.“
Tylarr starrte Jalina feindselig an. Er wollte das nicht hören, doch die Goldene sprach unbeeindruckt weiter: „ Schon vier Nachtmaare können einen Schwarzen am Langstreckensenden hindern, wusstest du das eigentlich?“
Natürlich wusste er das. Aber er antwortete nicht.
Jalina deutete mit ihrem Flügel anmutig nach Osten. „Und dort hinten am Fuße des dritten Gipfels gibt es eine Skihütte der Menschen. Die ist zurzeit recht gut besucht und würde ein Dutzend Nachtmaare für eine Woche am Leben erhalten.“
„Und was dann?“ , brach es wütend aus Tylarr heraus. „Glaubst du wirklich, die Nachtmaare würden sich brav auf den Weg nach Kiel machen und im Haus Brookstedt anklopfen, ohne den Rest der Welt zu verwüsten?“
Jalina lächelte zufrieden. Sie hatte ihn an der Angel.
„Wie ich sehe, hast du deine Hausaufgaben gemacht, mein Lieber.“ Dann betrachtete sie den Sternenhimmel, der sich wie ein diamantenbesetztes Samttuch über die verschneite Gebirgslandschaft spannte. „Hübsches Plätzchen hier, oder?“
„Ich habe keine Lust auf deine Spielchen, Jalina“ , gab der Rote ungehalten zurück. „Was soll der ganze Mist?“
Die Königin der Goldenen bedauerte nicht zum ersten Mal, dass die Roten in ihrer ungehobelten Art keinen Sinn für die Feinheiten des Spiels hatten – von Grimmarr vielleicht mal abgesehen. Aber der machte ganz andere Probleme. Sie seufzte tief und sagte: „Auch ich habe meine Aufgaben gemacht, Tylarr.“ Sie deutete mit einer Kralle graziös um sich herum: „Das hier ist der Lieblingsplatz der Gefährten. Hier kommen sie regelmäßig her.“
44. November
In den Wochen nach seinem letzten Besuch im Haus Brookstedt nahm sich der Abrexar mehr Zeit für Victoria. Er besuchte die junge Frau mindestens einmal in der Woche. Bei diesen Sitzungen erklärte er die politischen Zusammenhänge innerhalb der Drachengesellschaft und stellte selbst viele Fragen zur Gefährtenbeziehung, aber auch zu Victorias außergewöhnlichem Talent. Langsam normalisierte sich ihre Beziehung wieder, auch wenn Victoria ihm gegenüber immer ein Stück weit auf der Hut blieb und die politischen Ränkespiele hasste, die er und Jalina miteinander spielten.
In diesen Wochen wurde auch der Umbau vom Haus Brookstedt fast abgeschlossen. Das Haus machte nun einen ganz anderen Eindruck und sogar Abrexar musste zugeben, dass er vom Ergebnis angetan war. Die düstere Dramatik hatte einer hellen Leichtigkeit Platz gemacht. Licht floss nun reichlich durch alle Zimmer und sogar im grauen November hatte man den Eindruck, als würde der Frühling gerade beginnen. Die neuen Räume wirkten frisch und natürlich, schlicht und doch elegant.
Erst wollten die Gefährten für Abrexar ein paar Räume unverändert lassen, aber Tujana hatte eine andere Idee. Sie schlug vor, auch hier das Grundkonzept beizubehalten, aber ein paar der alten Elemente zu integrieren. Victoria konnte sich das anfangs nicht vorstellen, doch als sie dann die alten Wandpaneele des Speisesalons in Kombination mit den neu gestalteten Räumen sah, wusste sie, dass es einfach so sein musste.
Dazu hatte Tujana noch ein paar ganz spezielle Accessoires in einer beleuchteten Vitrine ausgestellt, wie beispielsweise ein uraltes Fernglas mit einem Skizzenbuch handgezeichneter Landkarten, zwei reich verzierte Kurzschwerter, ein wunderschönes Tintenfass mit Löschsalz und zwei weißen Federn, eine Handvoll
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