Machtlos
rekonstruieren und herauszufinden, wie das passieren konnte. Noch war nämlich nicht klar, wie die Dämonen überhaupt in diese Welt kommen konnten.
Deswegen hatte Jalina auch sofort nach dem Angriff den Notstand verhängt. Vorerst kontrollierten die Goldenen alle wichtigen Ressourcen der Drachen und dazu zählten auch die Dienste der grünen Heilerinnen. Jedenfalls hatte sich Jalina äußerst besorgt über Victorias Zustand gezeigt. Diese Heuchlerin! Abrexar war so ungehalten gewesen, dass er einen formellen Antrag für eine Heilerin beim Großen Rat gestellt hatte, doch der wurde am Sonntagmorgen von Jalina persönlich abgelehnt – ohne jeden Kommentar.
Am Sonntag war gegen Mittag am Horizont ein heftiger Schneesturm aufgezogen und so ordnete Hoggi an, Jaromir und Victoria schnellstens zu verlegen. Durch die Nebel springen konnten sie nicht – so einen Sprung hätte Victoria nicht überlebt.
Ein zwielichtiger Bekannter von Narex betrieb ein paar Täler entfernt einen privaten Flughafen. Narex hatte versichert, dass dieser Mensch keine Fragen stellen würde und organisierte kurzerhand eine kleine Propellermaschine für Victorias Transport nach Kiel.
Jaromir flog die Strecke vom Hochplateau zu dem kleinen Schweizer Hangar und hielt seine Gefährtin, mit einem Levitationszauber gesichert, behutsam in seinen Klauen. Vor dem eisigen Wind schützte er sie sorgsam durch einen starken Schutzschild und er versuchte, ihre Körpertemperatur mit einem Klimazauber konstant zu halten. Das erwies sich in Anbetracht ihrer Verbrennungen aber als schwierig. Die Weiterreise in dem kleinen Flugzeug war erträglicher. Sie hatten Glück und kamen gerade noch vor dem Schneesturm weg. Anderthalb Stunden später holte ein tief besorgter Albert die drei am Flughafen Kiel-Holtenau mit dem Wagen ab und brachte sie ins Haus Brookstedt.
Victorias Zustand verschlechterte sich zusehends. Am Abend benötigte sie jede Stunde eine neue Spende körpereigener, astraler Energie.
Jaromir nahm ihr die Schmerzen und spendete die eigene Kraft, bis seine Schuppen erneut aschfahl waren und er seine Menschengestalt nicht mehr aufrechterhalten konnte.
Da verbot ihm Hoggi jegliche Magie. „Du nützt deiner Gefährtin gar nichts, wenn du dich bis zur Besinnungslosigkeit verausgabst. Konzentriere dich auf das dünne Band zwischen euch, das sie im Leben hält. Du bist der Einzige, der sie daran hindern kann, endgültig zu gehen. Überlass den Rest gefälligst uns.“
Verzweifelt hatte Jaromir zugestimmt. Er hatte sich von Mandolan nur so viel Energie spenden lassen, dass er sich als Mensch neben Victoria legen konnte. Er war nicht eine Sekunde von ihrer Seite gewichen. Er aß kaum, trank wenig und in den seltenen Minuten, die er doch einschlief, schrie er verzweifelt ihren Namen. Meistens lag er selbst wie tot neben Victorias leblosem Körper und suchte in der Dunkelheit nach ihrem Geist.
Zum Spenden körpereigener Kräfte wurden alle herangezogen, sogar die zehn Schwarzen, die nun zusätzlich das Haus Brookstedt bewachten. Sie betrachteten das als große Ehre, auch wenn sich ihre Depots bis zur nächsten Spende nicht wieder auffüllen konnten.
Hoggi, Mandolan und Narex wechselten sich in der Krankenpflege ab. Sobald Jaromir spürte, dass Victorias Schmerzen wieder zunahmen, legte einer von ihnen einen starken Distanzierungszauber auf sie.
Mehr konnten sie nicht tun.
Nur abwarten.
Und hoffen.
Doch Victorias Zustand verbesserte sich nicht, auch wenn sich ihr Körper langsam erholte.
Kerstin betrachtete den zarten Flaum, der sich auf Victorias rosa schimmernden Kopfhaut zeigte. „Hoggis Zauberkunst kennt wirklich keine Grenzen. Nie im Leben hätte ich geglaubt, dass Victorias Haare wieder zu wachsen beginnen würden… aber trotzdem werde ich das Gefühl nicht los, dass es ihr schlechter geht.“
Sie drückte niedergeschlagen die Hand ihrer Freundin und flüsterte: „Bitte geh nicht, Victoria.“ Eine Träne tropfte auf die frischverheilte Haut, die noch immer Spuren des magischen Feuers aufwies.
Abrexar war nicht bereit, Jalinas Ablehnung einfach hinzunehmen und passte sie am Montagmorgen in der Himmelszitadelle ab. Auf seine Frage, warum sie ihnen keine Heilerin schickte, antwortete die Goldene ernsthaft zerknirscht, dass ihr die Hände gebunden seien. Während der Torkriege war in den Statuten festgeschrieben worden, dass in Krisenzeiten keinerlei Ressourcen an jemanden außerhalb der Drachengesellschaft vergeben werden durften.
Der Angriff
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