Machtlos

schlitternd auf den Fliesen.
    Victoria hatte ihre Augen aufgerissen und Jaromir war ganz blass geworden.
    Nur Linea war die Ruhe selbst, doch auch in ihren Augen spiegelte sich Erstaunen. „Mit so etwas habe ich gerechnet, wenn auch nicht in dieser Dimension.“ Sie untersuchte Victoria und fragte: „Wie fühlst du dich?“
    „Ich? … Gut – also, wenn man mal davon absieht, dass ich mich zu Tode erschrocken habe. … Wer war das?“
    „Du.“
    „ICH? Das kann nicht sein, Linea. Ich habe nur ganz sanft …“
    Jaromir hob nachdenklich einen Papierengel auf. Er blickte Victoria prüfend in die Augen und sagte leise, aber eindringlich: „Du hast diesen Sturm entfesselt, Kleines.“
    „Aber, das kann doch gar nicht sein. Ich… ich…“
    In diesem Moment öffnete sich die Tür und Hoggi betrat gut gelaunt den Raum. „Bitte entschuldigt meine Verspätung, aber Noran hatte noch einige Fragen wegen der Bindungsphase von Benan und Naira.“
    Er kicherte. „Wir konnten mal wieder kein Ende finden, aber die Eigenarten dieser Phase sind auch zu interessant…“
    Plötzlich bemerkte er die Tonscherben und die Engel auf dem Boden. Er zog verwundert eine Augenbraue hoch und fragte: „Wie ist denn das passiert? Habt ihr gelüftet? Es ist heute doch gar nicht so windig draußen…“
    „Wie gut, dass du da bist, mein Freund“ , meinte Linea gelassen und zeigte Hoggi die Bilder von dem kleinen Sturm. „Deine Schülerin hat ihren ersten Zauber ausgeführt.“
    Begeistert klatschte der alte Weiße in seine Hände und rief: „Wie wunderbar! Es ist genau so, wie wir es vorausgesehen haben, Linea! … Nur viel … deutlicher ausgeprägt, oder täusche ich mich da?“
    Linea sah ihn ironisch an. „Ja, «deutlicher ausgeprägt» ist es zweifelsohne.“
    Hoggi grinste glücklich von einem Ohr zum anderen. „Dann hat Victoria jetzt also das Potenzial eines Drachen in fortgeschrittenem Alter?“
    „Wenn das überhaupt ausreicht…“
    „Oh, fantastisch!“ Hoggi klatschte wieder mit leuchtenden Augen in seine Hände. „Dann können wir ja jetzt schon mit all den fortgeschrittenen Zaubern beginnen, die ich für meine Schülerin erst in drei bis vier Jahrhunderten vorgesehen hatte. Das wird großartig, Victoria, du wirst sehen! Du wolltest doch schon immer den Heilzauber lernen, mit dem ich Jaromir in Nordschweden behandelt habe. Damit können wir morgen gleich loslegen.“ Erwartungsvoll strahlte der alte Weiße Victoria an.
    „Das könnt ihr gern tun, wenn du deine Schülerin umbringen möchtest…“ , bemerkte Linea trocken.
    „Umbringen?“, fragte Hoggi irritiert. „Aber selbstverständlich nicht! Wieso sollte ich sie denn umbringen wollen?“
    „Halt!“, rief Victoria und erwachte aus ihrer Starre. „Wovon redet ihr beiden da überhaupt?“
    Linea sah sie ruhig an und erklärte sanft: „Als du vor fast zwei Wochen deinen Hilferuf um die halbe Welt geschickt hast, da sind nicht nur die Barrieren gerissen. Die Meridiane selbst wurden dabei stark überdehnt, denn sie mussten die riesigen Mengen Magie aufnehmen. Je weiter sich die Meridiane dehnen können, desto größer ist das magische Potenzial eines Wesens. Normalerweise braucht es Jahrhunderte, um die Meridiane so weit zu öffnen wie deine…“
    „Dann habt ihr also gewusst, dass ihr erster Zauber so ausfallen würde?“, fragte Jaromir vorwurfsvoll.
    Hoggi nickte eifrig, doch Linea schüttelte ihren Kopf. „Ich habe vermutet, dass sich Victorias Potenzial vergrößert hat. Allerdings überrascht mich das Ausmaß doch sehr.“
    Die Heilerin sah die Gefährtin entschuldigend an und fuhr mit ihrer einfühlsamen Gedankenstimme fort: „Victoria, deine Verletzungen sind gut verheilt und die Meridiane haben sich wieder nachhaltig zusammengezogen. Viel mehr wird sich da nicht tun. Es war für mich nicht voraussehbar, dass sie sich noch immer so stark weiten können. Und wenn ich es richtig beobachtet habe, haben sich auch deine Barrieren vollständig geöffnet. … Wie viel Magie wolltest du eigentlich einsammeln?“
    Victoria zuckte mit ihren Schultern. „Du hast gesagt, ich soll mich nicht anstrengen… ich wollte die Vorhänge nur anstupsen.“
    „Machen wir noch einen Versuch!“, schlug Hoggi mit leuchtenden Augen vor.
    „Wollt ihr Victoria umbringen?“, rief Jaromir wütend.
    Linea legte ihren Kopf schief und meinte nachdenklich: „Victoria wird neu lernen müssen, ihre Barrieren zu kontrollieren. Tut sie das nicht, so wird sie beim nächsten Zauber