Machtlos
telefonierte er hektisch und faselte etwas von Sabotage. Jaromir war sich ziemlich sicher, dass er seine eigene Inkompetenz damit überspielen wollte, denn wer bitteschön sollte in den Semesterferien einen Fahrstuhl an der mathematischen Fakultät sabotieren?
Kerstins Stimmung sank. Die Ablenkung durch den Brautladen war vorüber und nun dachte sie an ihre leere Wohnung, in die sie heute Abend zurückkehren musste. Außerdem schlug ihr der Regen aufs Gemüt. Mit jedem Schritt wurde die Sehnsucht nach Lennard größer und mit der Sehnsucht auch der Schmerz darüber, dass er sie nicht wollte.
„Hey, was meinst du, Kerstin, wollen wir heute Abend einen Frauenabend machen? Wir könnten uns eine Schnulze ansehen.“
„Ach, ich weiß nicht… Ich will euch doch nicht auf den Keks gehen“, gab ihre Freundin trübsinnig zurück.
Hinter ihnen kamen die Motorräder in Bewegung. Victoria drehte sich um und erkannte mindestens zehn Fahrer, die ganz langsam die Straße entlang rollten.
„Wo kommen die denn auf einmal her?“, fragte sie sich verwundert. „Das Wetter für eine Tour auf dem Bike ist es ja nicht gerade.“
Der Regen war stärker geworden und nun goss es in Strömen.
Auch Kerstin sah sich um. Sie erschrak und flüsterte: „Sag mal, sind das nicht die Typen aus der Zeitung?“
Victoria sah genauer hin und erkannte ein Symbol auf einer Motorradjacke. Beim zweiten Blick bemerkte sie, dass auch andere Männer das Zeichen auf Jacken, Helmen oder Halstüchern trugen. Einige hatten sogar ihre Maschinen damit lackiert. Die Typen sahen finster aus. Tatsächlich gehörten die Rocker zu einer der Motorradgangs, über die in den letzten Wochen immer wieder in den Kieler Nachrichten berichtet worden war.
„Ich fürchte, du hast recht“, wisperte sie.
„Was wollen die hier bloß?“, fragte Kerstin mit einem ganz mulmigen Gefühl im Bauch. „Die sehen nicht aus wie Leute, die eine Exkursion zum Ehrendenkmal machen und sich über die Geschichte informieren wollen.“
„So ein Bildungsnachmittag könnte denen aber echt nicht schaden“, gab Victoria leise kichernd zurück.
Aus den Nebenstraßen kamen weitere Maschinen. Nun waren hinter ihnen bestimmt schon zwanzig Mann, die sie regelrecht vor sich her durch den Regen trieben.
Die Scherze vergingen Victoria. Ihr wurde schlecht.
„Was ist bei euch los?“ , wollte Jaromir besorgt wissen.
Victoria sah bei einem der Fahrer durch die Gedankenfenster und antwortete alarmiert: „Die sind hinter mir her!“ Sie konnte den Grund dafür nicht erkennen, aber der interessierte sie jetzt auch nicht.
„WAS????“ Jaromir flippte fast aus.
Victoria bekam es mit der Angst zu tun und wäre am liebsten gerannt. „Du hast mich richtig verstanden: Die wollen mich kidnappen! Scheiße! Scheiße! Scheiße!“
Jaromir konnte gerade noch den Impuls unterdrücken, sich zu verwandeln. Das wäre in der Enge des Fahrstuhls tödlich für ihn und Lenir gewesen. „Ich muss hier raus – SOFORT!“ , durchfuhr es ihn.
Doch bevor er sich an der Dachluke zu schaffen machen konnte, bemerkte auch sein Freund, dass etwas nicht stimmte.
„Was ist bei den Mädels los?“, fragte Lenir scharf.
„Ich weiß es nicht“, gab Jaromir zurück und streckte die Hand nach der Dachluke aus.
„Hör auf mich zu verarschen, Jaromir! Warum hat Kerstin Angst? Was ist mit ihr?“ Lenir ließ nicht locker. Die Luft um ihn herum begann verräterisch zu flirren.
„Verdammt! Es ist nix mit Kerstin“, antwortete Jaromir und dachte: „NOCH nichts – bei den Nebeln, wir müssen hier raus, bevor Lenni durchdreht!“
Er rüttelte kräftig an der Luke, doch sie ging nicht auf.
„Wenn du mir nicht sagen willst, was los ist, dann ist doch was mit Kerstin!“, beharrte Lenir. Er konzentrierte sich kurz und rief alarmiert: „Ich spüre doch, dass sie Angst hat und es wird immer schlimmer! Ey, was ist da los, MANN! SAG MIR WAS LOS IST!!!“
Das Flimmern um Lennard Langlo nahm bedrohliche Ausmaße an. Der Drache spürte Kerstins Angst und MUSSTE zu ihr.
In letzter Sekunde konnte Jaromir die Verwandlung seines Freundes verhindern. Er legte seine ganze astrale Kraft in den Distanzierungszauber auf Lenir. Nur weil Jaromir ein Gefährte war und somit zu den mächtigsten Drachen der Erde gehörte, hatte dieser Versuch Erfolg. Vorerst.
„HOGGI!!!“ , brüllte Jaromir verzweifelt.
Er schaffte es nur knapp, die Kraft aufzubringen, den Weißen über die kurze Entfernung innerhalb Kiels zu rufen. Den
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