Madam Wilkin's Palazzo
und wieder verschwand. Mrs. Sorpende setzte ihr
Mona-Lisa-Lächeln auf, nickte Sarah mit einem Gesichtsausdruck zu, den Sarah
eindeutig als leichte Befriedigung zu identifizieren glaubte, und sagte, sie
müsse sich auf den Weg machen.
Sarah konnte sich nicht erklären, warum
Mrs. Sorpende so beglückt aussah. Sie selbst fühlte sich ziemlich
niedergeschlagen. Was hatte Bittersohn wohl? Wenn man bedachte, wie er sich
gestern abend im Taxi verhalten hatte und mit wie vielen netten Kosenamen er sie
in Brookline Village so freigiebig bedacht hatte, hätte man doch eigentlich
erwarten können — aber derartige Gedanken sollte sie besser so kurz nach ihrem
tragischen Verlust sowieso nicht haben. Vielleicht war Mr. Bittersohn zu dem
Schluß gelangt, daß sie eine kokette Frau war, die man in ihre Schranken weisen
mußte.
Vielleicht hatte er aber auch
Zahnschmerzen oder einen Kater, obwohl sie der Meinung gewesen war, daß sein
Betrunkensein nur Tarnung gewesen war, um die merkwürdigen Leute, die ihm den
Rembrandt verkaufen wollten, sobald Bengo ihn gemalt hatte, hinters Licht zu
führen. Oder vielleicht hatte er auch schlecht geschlafen. Er hatte ganz so
ausgesehen. War er gestern abend noch einmal weggegangen, nachdem er sie nach
Hause gebracht hatte?
Sie wünschte, sie könnte genug Mut
aufbringen, Mariposa danach zu fragen. Diese war inzwischen hereingekommen, um
abzuräumen, und wunderte sich zweifellos, warum Sarah immer noch allein hier
mit einer Tasse kalten Kaffee herumtrödelte, obwohl sie mit dem Spülen an der
Reihe war.
Sie entschied sich jedoch, nicht zu
fragen. Es würde sonst viel zu sehr aussehen, als ob sie sich allzu lebhaft für
Mr. Bittersohn interessierte, was sie ja auch wirklich tat, wenn sie ganz
ehrlich war. Sarah stand auf und nahm das schmutzige Geschirr in Angriff.
»Übrigens«, teilte sie Mariposa über
die Spüle hinweg mit, »kommt mein Cousin Brooks heute abend zum Essen.«
»Ist das der kleine Kerl, der am
Sonntag mit diesem alten Drachen hier war?«
»Ach richtig, Sie haben die beiden ja
verpaßt, nicht? Ich nehme an, Charles hat Ihnen alles erzählt.«
»Genau.« Mariposa reichte ihr noch mehr
Kaffeetassen herüber. »Er sagte, Ihr Cousin sei ein sehr netter Herr, aber die
alte Schreckschraube, die er bei sich hatte, sei ein wirklich komischer Vogel.«
»Das ist übrigens Brooks’ Hobby.
Ornithologie, meine ich natürlich. Er beobachtet Vögel, imitiert ihre Stimmen
und dergleichen.«
»Ach wirklich? Ich habe einen Onkel,
der kann Kampfhähne nachmachen.«
»Das erwähnen Sie vielleicht im Beisein
von Brooks besser nicht. Er hält von Hahnenkämpfen nämlich herzlich wenig. Ich
übrigens auch.«
»Na ja, das ist eine alte
Kulturbarriere. Was sollen wir denn für unseren Vogelliebhaber kochen?«
»Ich wollte ihm eigentlich Paprikahuhn
servieren.«
»Das verstehe ich nicht. Wenn er so ein
großer Vogelfan ist, wieso ißt er dann Hühnchen?«
»Vielleicht tut er das gar nicht. Daran
habe ich überhaupt noch nicht gedacht. Aber wir haben ja Nudeln und Bohnen mit
Mandeln dazu, außerdem gibt es als Nachtisch Karottenpudding. Davon wird er schon
satt werden.«
Rein zufällig war Mr. Bittersohn ein
großer Freund von Paprikahuhn, Nudeln, Bohnen mit Mandeln und Karottenpudding.
Sarah war während der letzten Tage so
sehr mit anderen Dingen beschäftigt gewesen, daß sie mit der Hausarbeit ins
Hintertreffen geraten war. Sie ging also ihre Pflichten an, nahm sich
allerdings ein wenig mehr Zeit, um die Pflanzen in Mr. Bittersohns Zimmer zu
gießen und einen Knopf an seinem Schlafanzug anzunähen. Normalerweise gehörte
diese Arbeit nicht zu ihren Pflichten den Logiergästen gegenüber, doch der
Knopf lag nun einmal auf dem Boden, und schließlich war es nicht das erste Mal,
daß sie einem Mann einen Schlafanzugknopf annähte.
Warum gab sie sich dann diesmal so viel
Mühe? Sie biß ziemlich wütend den Faden durch, faltete den Schlafanzug zusammen
und legte ihn ans Fußende des Bettes, klopfte die gemusterten Kissen auf, die
dem Zimmer eher das Aussehen eines kleinen Apartments als eines Schlafzimmers
geben sollten, und ging nach oben, um die Möhren für den Karottenpudding zu
raspeln.
Um sechs Uhr war Sarah in der
Bibliothek; sie trug ihr graues Dinnerkleid aus Satin und Granny Kays
Eisvogelbrosche. Etwa eine Minute später traf Brooks ein, makellos wie ein
Pinguin in seiner Smokingjacke, die er bekommen hatte, als er 1946 mit seinem
Studium an der Harvard-Universität
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