Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)
sich nicht so viel Mühe geben, bloß wegen dieser lumpigen Zahlungsbelege.
»Ich finde die aber noch«, sagte sie.
Und tatsächlich, schon am darauffolgenden Freitag, als Charles in der finsteren Kammer, wo seine Kleider hingen, in einen seiner Stiefel schlüpfte, spürte er ein Blatt Papier zwischen Leder und Socke, er zog es heraus und las:
»Quittung über fünfundsechzig Franc, für drei Monate Unterricht zuzüglich diverser Auslagen. félicie lempereur, Musiklehrerin.«
»Wie zum Teufel kommt das in meine Stiefel?«
»Das wird wohl«, antwortete sie, »aus der alten Schachtel mit den Rechnungen gefallen sein, die oben auf dem Brett steht.«
Von diesem Augenblick an war ihr Leben nur noch ein Lügengewebe, in das sie ihre Liebe hüllte wie in Schleier, um sie zu verbergen.
Es wurde ein Drang, eine Sucht, eine Lust, und wenn sie erzählte, sie sei gestern auf der rechten Straßenseite gegangen, durfte man vermuten, sie habe die linke genommen.
Eines Morgens, sie war kaum abgefahren, recht dünn gekleidet wie immer, da fiel plötzlich Schnee; und während Charles am Fenster nach dem Wetter schaute, erblickte er Monsieur Bournisien im Boc des Herrn Tuvache, der diesen mitnahm nach Rouen. Also lief er hinunter und gab dem Geistlichen einen dicken Shawl, den er Madame bei seiner Ankunft in der Croix rouge gleich aushändigen sollte. Kaum war er im Gasthof angelangt, fragte Bournisien nach der Frau des Arztes aus Yonville. Die Wirtin antwortete, sie käme nur selten in ihr Haus. Am Abend dann, als er Madame Bovary in der Hirondelle sah, erzählte der Pfarrer von seiner Verlegenheit, schien die Sache jedoch nicht weiter wichtig zu nehmen; denn er sang sogleich ein Loblied auf einen Prediger, der augenblicklich in der Kathedrale wahre Wunder vollbringe und dem alle Damen zuströmten.
Gleichviel, auch wenn er keine Erklärung verlangt hatte, andere konnten in Zukunft weniger taktvoll sein. Darum hielt sie es für ratsam, jedesmal in der Croix rouge einzukehren, so würden die guten Dorfleutchen sie auf der Treppe sehen und nichts argwöhnen.
Eines Tages jedoch begegnete ihr Monsieur Lheureux, als sie gerade an Léons Arm aus dem Hôtel de Boulogne trat; und sie bekam Angst, bildete sich ein, er werde reden. Er war nicht so dumm.
Drei Tage später jedoch erschien er in ihrem Zimmer, schloss die Tür und sagte:
»Ich bräuchte Geld.«
Sie erklärte, ihm keines geben zu können. Lheureux begann zu jammern und zählte alle Gefälligkeiten her, die er ihr erwiesen hatte.
Tatsächlich hatte Emma bislang nur einen der beiden von Charles unterzeichneten Wechsel eingelöst. Den zweiten hatte der Händler, auf ihre Bitte, freundlicherweise durch zwei andere ersetzt, die sogar mit einer recht langen Fälligkeit prolongiert worden waren. Dann zog er eine Liste von unbezahlten Waren aus der Tasche, das heißt: Vorhänge, Teppich, Bezug für die Sessel, mehrere Kleider und verschiedene Toilettenartikel, und ihr Wert belief sich auf rund zweitausend Franc.
Sie ließ den Kopf hängen; er fuhr fort:
»Wenn Sie schon kein Bargeld haben, so haben Sie doch Grundbesitz .«
Und er nannte ihr eine verlotterte Masure, in Barneville bei Aumale, die nicht viel einbrachte. Sie gehörte ehedem zu einem kleinen Hof, der vom alten Monsieur Bovary verkauft worden war, denn Lheureux wusste alles, sogar wieviel Hektar sie umfasste und wie die Nachbarn hießen.
»Ich an Ihrer Stelle«, sagte er, »würde mich davon trennen, und außerdem hätte ich noch den Überschuss.«
Sie erwähnte die Schwierigkeit, einen Käufer zu finden; er machte Hoffnung, ihn aufzutreiben; doch sie fragte, was zu tun sei, damit sie verkaufen könne.
»Haben Sie nicht eine Vollmacht?« entgegnete er.
Dieses Wort wirkte wie ein Schwall frischer Luft.
»Lassen Sie mir den Zettel«, sagte sie.
»Oh! das ist nicht nötig!« antwortete Lheureux.
Er kam in der folgenden Woche wieder und brüstete sich, er habe nach vielem Hin und Her schließlich einen gewissen Langlois aufgestöbert, der schon lange nach dem Anwesen schiele, jedoch keinen Preis nennen wolle.
»Was schert mich der Preis!« rief sie.
Nein, man müsse warten, dem Kerl auf den Zahn fühlen. Die Angelegenheit verlohne die Reise, und da sie diese Reise nicht machen konnte, schlug er vor, selbst hinzufahren und sich mit Langlois ins Benehmen zu setzen. Als er zurückkam, verkündete er, der Käufer biete viertausend Franc.
Emma strahlte über diese Nachricht.
»Ehrlich«, meinte er, »das ist gut
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