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Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)

Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)

Titel: Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gustave Flaubert
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sie von Lähmung befallen. Sie konnte nicht weiter; aber sie musste; wohin auch sollte sie fliehen?
    Félicité wartete vor der Tür.
    »Und?«
    »Nichts!« sagte Emma.
    Und eine Viertelstunde lang berieten sie gemeinsam, wer in Yonville vielleicht geneigt sein könnte, ihr zu helfen. Doch jedesmal, wenn Félicité einen Namen nannte, widersprach Emma:
    »Ach was! Die wollen nicht!«
    »Und Monsieur wird gleich kommen!«
    »Ich weiß … Lass mich allein.«
    Sie hatte alles versucht. Jetzt war nichts mehr zu machen; und wenn Charles hereintrat, musste sie ihm sagen:
    »Geh weg da. Der Teppich, auf dem du stehst, gehört uns nicht mehr. Von deinem Haus bleibt dir kein Möbel, keine Nadel, kein Strohhalm, und ich habe dich zugrunde gerichtet, du armer Mann!«
    Zuerst würde er laut aufschluchzen, dann ausgiebig weinen, und am Ende, wenn der erste Schreck vorbei war, verzeihen.
    »Ja«, flüsterte sie zähneknirschend, »er wird mir verzeihen, er, dem ich nicht für eine Million vergeben könnte, dass er in mein Leben getreten ist … Nie und nimmer!«
    Der Gedanke, dass Bovary ihr überlegen war, machte sie rasend. Und dann, ob sie gestand oder nicht gestand, jetzt gleich, am Nachmittag, morgen, er würde von der Katastrophe ja doch erfahren; sie musste auf die grässliche Szene also warten und die Last seiner Großherzigkeit ertragen. Sie überlegte, ob sie noch einmal zu Lheureux gehen sollte: wozu? ihrem Vater schreiben? es war zu spät; und vielleicht reute es sie schon, dass sie dem andern nicht nachgegeben hatte, da hörte sie den Hufschlag eines Pferdes auf der Allee. Er war’s, er öffnete das Gatter, er war weißer als die Gipswand. Sie stürzte hinaus auf die Treppe, entfloh rasch über den Platz; die Frau des Bürgermeisters, die vor der Kirche mit Lestiboudois plauderte, sah, dass sie zum Steuereinnehmer ging.
    Sie rannte los, um es Madame Caron zu sagen. Die beiden Damen kletterten auf den Dachboden; und versteckt hinter der auf Stangen trocknenden Wäsche, bezogen sie Posten und überblickten bequem Binets ganzes Zuhause.
    Er war allein in seiner Mansarde, beschäftigt, eine jener unbeschreiblichen Elfenbeinschnitzereien in Holz nachzubilden, bestehend aus Halbmonden, aus ineinandergreifenden Kugeln, alles zusammen kerzengerade wie ein Obelisk und zu nichts gut; und er machte sich ans letzte Stück, war fast schon am Ziel! Im Halbdunkel der Werkstatt flog heller Staub aus seinem Gerät, wie ein Funkenstrahl unter den Hufeisen eines galoppierenden Pferdes; die zwei Räder drehten sich, surrten; Binet lächelte mit gesenktem Kinn, geblähten Nüstern und schien völlig versunken in ein so allumfassendes Glück, wie es gewiss nur mediokren Tätigkeiten innewohnt, die mit leichten Schwierigkeiten den Verstand ergötzen und ihn durch eine Vollendung befriedigen, über die hinaus nichts zu erträumen bleibt.
    »Ah! da ist sie!« sagte Madame Tuvache.
    Doch wegen der Drechselbank war es unmöglich zu hören, was sie sagte.
    Endlich glaubten die Damen das Wort Franc zu verstehen, und die alte Tuvache zischte ganz leise:
    »Sie bittet ihn um Aufschub für ihre Steuern.«
    »Scheint so!« erwiderte die andere.
    Die beiden sahen sie hin und her gehen, an den Wänden die Serviettenringe betrachten, die Kerzenständer, die Geländerknäufe, während Binet sich zufrieden den Bart strich.
    »Will sie etwas bei ihm bestellen?« sagte Madame Tuvache.
    »Er verkauft doch nichts!« hielt ihre Nachbarin dagegen.
    Der Steuereinnehmer schien zu lauschen, mit weit aufgerissenen Augen, als begreife er nichts. Sie redete weiter, schmeichelnd, flehend. Sie trat näher zu ihm; ihr Busen atmete heftig; keiner sprach mehr ein Wort.
    »Macht sie ihm Avancen?« sagte Madame Tuvache.
    Binet war rot bis über die Ohren. Sie ergriff seine Hände.
    »Oh! das geht zu weit!«
    Und sie trug ihm wohl etwas Schändliches an; denn der Steuereinnehmer – immerhin ein tapferer Mann, er hatte bei Bautzen und Lützen gekämpft, den Feldzug in Frankreich mitgemacht und war sogar für das Kreuz vorgeschlagen worden – fuhr plötzlich zurück wie beim Anblick einer Schlange und rief:
    »Madame, was fällt Ihnen ein? …«
    »Solche Frauen müsste man auspeitschen!« sagte Madame Tuvache.
    »Wo ist sie jetzt hin?« fragte Madame Caron.
    Denn während dieser Worte war sie verschwunden; als die beiden schließlich sahen, dass sie rasch in die Hauptstraße einbog und sich nach rechts wandte, wie um auf den Friedhof zu gehen, hagelte es

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