Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)
Seines lag am Ende, ganz hinten, links. Als ihre Finger den Riegel berührten, verließen sie mit einemmal alle Kräfte. Sie hatte Angst, er könnte nicht da sein, wünschte es fast, und doch war er ihre einzige Hoffnung, die letzte Aussicht auf Rettung. Sie besann sich einen Augenblick, festigte ihren Mut im Wissen um die zwingende Notwendigkeit und trat ein.
Er saß vor dem Feuer, beide Füße auf der Kamineinfassung, und rauchte Pfeife.
»Ach! Sie!« sagte er und schnellte hoch.
»Ja, ich! … ich möchte Sie um Rat bitten, Rodolphe.«
Und trotz aller Anstrengung schaffte sie es nicht, den Mund aufzumachen.
»Sie haben sich nicht verändert, Sie sind reizend wie einst!«
»Oh!« erwiderte sie bitter, »es sind traurige Reize, mein Freund, denn sie wurden von Ihnen verschmäht.«
Da begann er sein Verhalten zu erklären, entschuldigte sich mit windigen Worten, weil ihm nichts Schlaueres einfiel.
Sie ließ sich einlullen von seinem Gerede, mehr noch von seiner Stimme und der wohlgestalten Erscheinung; sodass sie vorgab zu glauben, oder vielleicht wirklich glaubte, was er als Grund für den Bruch vorschützte; es war ein Geheimnis, von dem Ehre und sogar Leben einer dritten Person abhingen.
»Gleichviel!« sagte sie und blickte traurig auf ihn, »ich habe sehr gelitten!«
Er antwortete philosophisch:
»So ist das Leben!«
»War es denn für Sie«, fragte Emma, »wenigstens gut seit unserer Trennung?«
»Ach! weder gut … noch schlecht.«
»Vielleicht wären wir besser niemals auseinandergegangen.«
»Ja …, vielleicht!«
»Glaubst du?« sagte sie näher tretend.
Und sie seufzte.
»O Rodolphe! wenn du wüsstest! … ich habe dich sehr geliebt!«
Nun fasste sie nach seiner Hand, und eine Weile standen sie da mit verschlungenen Fingern – wie am ersten Tag, bei der Landwirtschaftsausstellung! Aus Stolz wehrte er sich gegen die Rührung. Doch an seine Brust sinkend, sagte sie:
»Wie sollte ich ohne dich leben! Man kann sich das Glücklichsein nicht abgewöhnen! Ich war verzweifelt! ich glaubte, ich würde sterben! Ich werde dir alles erzählen, du wirst schon sehen. Und du … du bist mir ausgewichen! …«
Denn seit drei Jahren war er ihr mit Bedacht aus dem Weg gegangen, wegen jener angeborenen Feigheit, die bezeichnend ist für das starke Geschlecht; und Emma redete weiter mit herzigem Nicken, schmeichelnder als eine verliebte Katze:
»Du liebst andere, gesteh’s. Oh! ich begreife sie ja! ich verzeih’s ihnen; du hast sie verführt, wie du mich verführt hast. Du bist eben ein Mann! du besitzt alles, was nötig ist, um Liebe zu wecken. Aber wir werden neu anfangen, nicht wahr? werden uns lieben! Schau, ich lache, ich bin glücklich! … sag etwas!«
Und sie war hinreißend, mit ihrem Blick, in dem eine Träne funkelte, wie das Wasser eines Gewitters in einem blauen Kelch.
Er zog sie auf seinen Schoß und fuhr mit dem Handrücken sanft über ihr glattgescheiteltes Haar, auf dem im Dämmerlicht wie ein goldener Pfeil ein letzter Sonnenstrahl schimmerte. Sie senkte den Kopf; schließlich küsste er sie auf die Augenlider, ganz sachte, kaum dass seine Lippen sie berührten.
»Du hast ja geweint!« sagte er. »Warum?«
Sie begann heftig zu schluchzen. Rodolphe glaubte, es sei ein Ausbruch von Liebe; da sie nichts sagte, hielt er dieses Schweigen für einen Rest Schamhaftigkeit, und darum rief er:
»Oh! vergib mir! du bist die einzige, die mir gefällt. Ich war dumm und böse! Ich liebe dich, ich werde dich immer lieben! … Was hast du? sprich!«
Er kniete nieder.
»Also gut! … ich bin ruiniert, Rodolphe! Du musst mir dreitausend Franc borgen!«
»Aber …, aber …«, sagte er, sich langsam aufrichtend, und sein Gesicht wurde ernst.
»Weißt du«, redete sie schnell weiter, »mein Mann hatte sein ganzes Vermögen bei einem Notar plaziert; der ist auf und davon. Wir haben geliehen; die Patienten zahlten nicht. Übrigens ist die Liquidation nicht abgeschlossen; da erhalten wir später noch etwas. Heute jedoch, weil uns dreitausend Franc fehlen, will man uns pfänden; und zwar jetzt, in diesem Augenblick; und im Vertrauen auf deine Freundschaft bin ich gekommen.«
»Aha!« dachte Rodolphe, der plötzlich sehr bleich wurde, »darum ist sie gekommen!«
Schließlich sagte er ruhig:
»Ich habe sie nicht, meine Gnädige.«
Er log keineswegs. Hätte er sie besessen, er hätte sie gewiss hergegeben, auch wenn es im allgemeinen unerfreulich ist, so gute Taten zu vollbringen: denn eine Bitte
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