Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)
Typhus ausbricht. Das Fieber tötete die Liebe, aber es blieb die Kranke. Das war die zweite Szene.
Ich komme nun zur dritten. Auf den Fehltritt mit Rodolphe war eine Hinwendung zur Religion gefolgt, doch sie hatte nur kurz gedauert; Madame Bovary wird erneut straucheln. Der Ehemann hatte das Theater als hilfreich für die Genesung seiner Frau erachtet, und er war mit ihr nach Rouen gefahren. In einer Loge, der von Monsieur und Madame Bovary gegenüber, saß Léon Dupuis, jener junge Kanzlist, der in Paris die Rechte studiert und der seltsam kenntnisreich, seltsam erfahren von dort zurückgekehrt ist. Er besucht Madame Bovary; er schlägt ihr ein Rendezvous vor. Madame Bovary nennt ihm die Kathedrale. Als sie die Kathedrale verlassen, schlägt ihr Léon vor, in einen Fiaker zu steigen. Sie sträubt sich zunächst, aber Léon sagt, in Paris sei das so üblich, und da gibt es kein Hindernis mehr. Der Fehltritt findet im Fiaker statt! Die Rendezvous mehren sich mit Léon wie mit Rodolphe, im Haus des Sanitätsbeamten und dann in einem Zimmer, das man in Rouen gemietet hatte. Schließlich kam in ihr sogar Überdruss an dieser zweiten Liebe auf, und hier beginnt nun die Verzweiflungsszene, das ist die letzte des Romans.
Madame Bovary hatte Rodolphe und Léon mit Geschenken überhäuft, überschüttet, sie hatte ein Luxusleben geführt, und um so viele Ausgaben bestreiten zu können, hatte sie viele Solawechsel unterschrieben. Sie hatte von ihrem Mann eine Generalvollmacht erhalten, um das gemeinsame Vermögen zu verwalten; sie war auf einen Wucherer gestoßen, der sich Wechsel unterschreiben ließ, die, wurden sie bei Fälligkeit nicht bezahlt, unter dem Namen eines Kumpans prolongiert wurden. Dann waren das Stempelpapier, die Proteste, die Urteile, die Pfändung und schließlich der Anschlag über die Versteigerung des Mobiliars von Monsieur Bovary gekommen, der von nichts wusste. In grausamer äußerster Not bittet Madame Bovary alle Welt um Geld und erhält von niemandem etwas. Léon hat keines, und er weicht entsetzt vor dem Gedanken an ein Verbrechen zurück, den man ihm einflüstert, um sich welches zu besorgen. Alle Stufen der Erniedrigung durchlaufend, geht Madame Bovary auch zu Rodolphe; sie hat keinen Erfolg, Rodolphe besitzt keine dreitausend Franc. Ihr bleibt nur noch ein Ausweg. Sich bei ihrem Mann zu entschuldigen? Nein; sich mit ihm auszusprechen? Aber dieser Mann wäre so großherzig, ihr zu verzeihen, und das ist eine Erniedrigung, die sie nicht hinnehmen kann: sie vergiftet sich. Nun kommen qualvolle Szenen. Der Mann sitzt da, neben dem erstarrten Körper seiner Frau. Er lässt ihr Hochzeitskleid bringen, er befiehlt, dass man es ihr anlegt und dass man ihre sterblichen Überreste in einem dreifachen Sarg verschließt.
Eines Tages öffnet er den Sekretär, und er findet darin das Porträt von Rodolphe, seine Briefe und die von Léon. Sie glauben, dass es danach mit der Liebe aus ist? Nein, nein, im Gegenteil, er entflammt sich, erregt sich an dieser Frau, die andere besessen haben, wegen der Erinnerungen an Lust, die sie ihm hinterlassen hat; und von dem Augenblick an vernachlässigt er seine Patienten, seine Familie, er lässt die letzten Stücke seines Vermögens davonfliegen, und eines Tages findet man ihn tot in der Laube seines Gartens, in den Händen eine lange Strähne von schwarzem Haar.
Das ist der Roman; ich habe ihn vollständig erzählt und keine Szene ausgespart. Man nennt ihn Madame Bovary ; Sie können ihm einen anderen Titel geben und ihn mit Fug und Recht Geschichte der Ehebrüche einer Frau in der Provinz nennen.
Meine Herren, der erste Teil meiner Aufgabe ist erfüllt; ich habe erzählt, ich werde zitieren, und nach den Zitaten wird die Anschuldigung kommen, die auf zwei Vergehen zielt: Verletzung der öffentlichen Moral, Verletzung der religiösen Moral. Die Verletzung der öffentlichen Moral besteht in den lasziven Gemälden, die ich Ihnen vor Augen führen werde, die Verletzung der religiösen Moral in den lüsternen Bildern, die sich mit heiligen Dingen vermischen. Ich komme zu den Zitaten. Ich will mich kurz fassen, denn Sie werden den Roman als Ganzes lesen. Ich werde mich darauf beschränken, Ihnen vier Szenen zu zitieren, oder vielmehr vier Gemälde. Die erste wird die der Liebschaft und des Fehltritts mit Rodolphe sein; die zweite das reliöse Zwischenspiel zwischen den beiden Ehebrüchen; die dritte wird der Fehltritt mit Léon sein, das ist der zweite Ehebruch, und die
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