Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)
(durch Übereinstimmung ihrer Geschmacksrichtungen), sich etwas ineinander zu verlieben. Wenn ich bloß noch Platz hätte! Aber alles muss ziemlich rasch gehen, ohne trocken zu sein, entwickelt werden, ohne platt zu sein, und dabei muss ich mir für die Folge Details aufsparen, die hier eindringlicher wären. Ich werde jetzt alles zügig machen und in großen aufeinanderfolgenden Gesamtskizzen vorwärtsgehen; wenn ich sie mir wieder vornehme, wird es vielleicht gedrängter werden. Der Satz für sich selber macht mir große Mühe. Ich muss in geschriebenem Stil Leute von äußerster Gewöhnlichkeit sprechen lassen, und der Schliff der Sprache nimmt dem Ausdruck viel Malerisches weg!« Das Ziel dieser unendlich angespannten Arbeit war nicht Eleganz, es war die Wahrheit des Gesagten in der Wahrheit des Ausdrucks.
Am 4. September 1852 schreibt Flaubert an Louise Colet: »Ich gelange zu einer Art ästhetischem Mystizismus (wenn die beiden Wörter zusammenpassen), und ich wollte, dass er stärker wäre. […] – Wir sind ein wenig zu früh gekommen. In fünfundzwanzig Jahren wird der Kreuzungspunkt wundervoll sein.« Dieser »ästhetische Mystizismus« bedeutet für Flaubert, dass nur das wahr sein kann, was richtig ausgedrückt ist. Im Werk selbst wird das nur an einer einzigen Stelle sichtbar: in seiner Schönheit – aber nicht in einer dekorativen, äußeren Schönheit, sondern in einer Schönheit, die darin besteht, dass sich Inhalt und Form vollständig decken. So wie in der Musik ein falscher Ton das Stück, in der Malerei eine falsche Farbe das ganze Bild zerstören, so ist in der Literatur ein falsch gesetztes Wort nicht ein bedauerlicher Lapsus, es stellt das ganze Werk in Frage. Natürlich wurde das schon von Zeitgenossen als obsessive Übertreibung gewertet: »Sie sagen mir, dass ich der Form zu große Aufmerksamkeit schenke«, heißt es am 12. Dezember 1857 in einem Brief an Mademoiselle Leroyer de Chantepie. »Ach! das ist wie Körper und Seele; Form und Idee sind für mich ein und dasselbe, und ich weiß nicht, was das eine ohne das andere ist. Je schöner eine Idee, desto wohlklingender der Satz; seien Sie dessen versichert. Die Genauigkeit des Gedankens bewirkt (und ist sogar) die des Wortes.« Viele Jahre später hat Flaubert das noch einmal wunderbar wiederholt: »Die Bemühung um äußere Schönheit, die Sie mir vorwerfen, ist für mich eine Methode«, schreibt er am 10. März 1876 an seine Freundin George Sand, und er betont damit den ganz handwerklichen Sinn seines »ästhetischen Mystizismus«. »Wenn ich in einem meiner Sätze eine schlechte Assonanz oder eine Wiederholung finde, bin ich sicher, dass ich im Falschen herumwate.« Flauberts feste Überzeugung war es, dass es für alles, was er sagen wollte, nur ein richtiges Wort, einen richtigen Satz gebe, und den galt es zu finden, koste es, was es wolle.
Vielleicht liegt an dieser Stelle der Bruch, der Flaubert unwiderruflich von seinen Vorgängern trennt: in der radikalen Konzentration auf das Schreiben und auf den geschriebenen Text. Stendhal war noch Abenteurer, Soldat, Salonlöwe, Opernfanatiker, und das Schreiben war für ihn eine Beschäftigung unter anderen, und der Roman eine Form unter mehreren. Ist Stendhal, der 1842, nur fünfzehn Jahre vor Madame Bovary , starb, der letzte Nachfahre des achtzehnten Jahrhunderts, so Flaubert der erste Vorläufer des zwanzigsten. Wie nur Franz Kafka wurde ihm das Schreiben mit dem Leben identisch, und es überrascht nicht, dass Kafka einer der großen Flaubert-Verehrer ist. Mit Flaubert wird das Schreiben, wird die Literatur zu etwas anderem, das mit größter Radikalität betrieben werden muss. Henry James hat das gesehen: »Flaubert hatte die bewundernswerte und soviel ich weiß bis auf den heutigen Tag unübertroffene Eigenschaft, Bücher von außergewöhnlichem künstlerischen Wert zu hinterlassen, deren Plan ihm jedoch nicht half, in heiterer Gelassenheit über sie nachzudenken. Der Schritt zur Ausführung, sobald die Ausführung wirklich in die Deichsel gespannt wird, ist natürlich immer und überall ein heikler Augenblick – zu dem übrigens in letzter Zeit zu viel geschrieben wurde –, doch wir sehen Flaubert häufig seine eigenen Themen verfluchen, bedauern, dass er sie ausgesucht hat, sich deswegen lustig machen über sich selbst und sie verabscheuen, während er an ihnen arbeitet.« Flaubert ist der Romancier, der konsequent gegen seine Epoche arbeitet, der die Literatur selbst als
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